Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheimes Verlangen

Geheimes Verlangen

Titel: Geheimes Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Redfern
Vom Netzwerk:
ein Kätzchen in der Geborgenheit ihrer Armbeuge …
    Sie beißt sich auf die Lippe und starrt ins Gras. Die Wolken sind inzwischen in der heißen Sonne verdampft, und sie spürt ihre Strahlen im Nacken. Die Katze und der Hund sehen ihr zu, wie sie den Spaten in den Boden treibt und ihn dort stecken lässt. Sie setzt sich in den Schatten eines Apfelbaums, stützt das Gesicht in die Hände. Es ist falsch, ihn in solche Fantasien hineinzulocken, ein gefährlicher Irrtum.
    Noch wenige Tage, dann wird er verreisen – seine Arbeit zwingt ihn, unterdrückte Städte anzufliegen, verstummte Länder, ihrer Welt den Rücken zu kehren. Fern von ihr könnte sich schlagartig alles verändern, das weiß sie. Wenn er fern von ihr ist, könnte er sie plötzlich sehen, wie sie wirklich ist: eine Papierpuppe. Sie könnte sich verflüchtigen wie eine Kräuselung auf dem Wasser. Er könnte eines Tages wiederkehren wie eine Ödnis, die von Worten widerhallt, mit einer Stimme sprechen, die alles in Nebel hüllt. Möglich ist aber auch, dass er sie dort vermisst, sie weiß es nicht.
    Sie verharrt unter den knochigen Ästen des Apfelbaums, vor sich am Boden wie eine dunkle Wasserlache ihren Schatten, die Hände vor dem Gesicht.

M anche Dinge werden die zwei sich nie erzählen. Den innersten Kern der beiden bildet das Schweigen – sie beißen sich auf die Zunge, senken den Blick, verbergen Tag für Tag in der Öffentlichkeit, was sie füreinander empfinden; doch es gibt auch Dinge, die sie dem anderen gegenüber verschweigen. Dabei hat diese Situation durchaus ihre angenehmen Seiten. Was immer sie tun, geschieht im Dunkeln, und selbst im hellen Tageslicht sind sie gezwungen, im Schatten zu leben. Deshalb ist es so wichtig für sie, ihn so wenig wie möglich zu belasten, mit ihm zu lachen, über Belanglosigkeiten zu sprechen, lieber seine Füße zu kitzeln als zu philosophieren. Sie erzählt ihm, dass sie ihn vermisst hat, wenn er wieder unterwegs war, aber nur ein ganz klein wenig, nicht so schlimm: Er entgegnet, dass eine wundervolle Reise hinter ihm liegt und er nur ungern wieder nach Hause gefahren ist.
    Heute hat er Geburtstag: Er fühlt sich jung, noch kaum richtig gezähmt. Er liegt in ihrem Garten rücklings auf der Wiese und isst Orangen, von denen er ein ganzes Netz voll mitgebracht hat. Sie liegt neben ihm, die Hände unter dem Kopf verschränkt, und blickt in den Himmel. Sie sagt: »Ich habe schon öfter gehört, dass Wolken angeblich häufig an konkrete Dinge erinnern: ein Gesicht, einen Lastwagen, eine Bratpfanne oder so. Allerdings habe ich das noch nie am Himmel gesehen. Ich sehe immer nur Wolken.«
    »Du hast nun mal keine Fantasie«, sagt er. »Schau mal dort drüben – diese Wolke, die so aussieht wie ein Löwe, der im Zirkus auf einem Podest steht.«
    Sie blickt ratlos zu den mächtigen Wolkengebilden hinauf und jammert: »Sehe ich nicht – wo denn?«
    »Nirgends«, sagte er. »Hab ich mir nur ausgedacht.«
    Sie sieht aus den Augenwinkeln, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzieht. Auf seiner Unterlippe ist noch ein Tropfen Orangensaft. »Gar nicht witzig«, sagt sie.
    »Und ob«, entgegnet er mit jener Selbstgewissheit, die er immer dann an den Tag legt, wenn er sich von einer ihrer Aussagen distanziert. Bisweilen erinnert er sie an einen Vogel – ein von absoluter Gewissheit erfülltes flüchtiges Gebilde, einen federleichten Flaum, der einen eisernen Willen umschließt. Sie wendet den Blick von ihm ab, zu den Wolken hinauf. Er isst genüsslich das Fruchtfleisch aus der Schale, schüttelt sich immer wieder vor Vergnügen. Dann wirft er die Schale neben sich ins Gras und sagt: »Noch eine.«
    »Hol sie dir doch selbst. Du weißt ja, wo sie sind.«
    »Ich habe heute Geburtstag …«
    Sie richtet sich seufzend auf.
    »Aber eine richtig schöne. Fest, aber nicht zu fest. Eine Superorange.«
    Sie blickt sich nach ihm um, überlegt, ob sie einen schlechten Einfluss auf ihn ausübt. Als sie das Netz öffnet, purzeln ein paar Orangen in das grüne Gras.
    »Pass doch auf«, sagt er.
    »Du kannst mich mal«, sagt sie.
    Er lächelt und schließt die Augen. Er weiß, dass sie ihm aus den Früchten die schönste herauspicken wird. Sie wiederum weiß, dass er nicht herumnörgeln wird, sondern sich mit dem zufriedengibt, was er bekommt. Vermutlich ist er schon immer so gewesen. Sie sieht den schlanken Jungen vor sich, der er einmal gewesen sein könnte, ein unkompliziertes Kind, das nicht ständig etwas Neues haben will, das

Weitere Kostenlose Bücher