Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
angekommen war, ertönte von oben ein fröhliches Klingeln. Samantha erstarrte und überlegte entsetzt, ob Gabriel eben nur so getan hatte, als ob er schliefe.
Das Glöckchen ertönte erneut, diesmal schon schriller und nachdrücklicher.
Mit hängenden Schultern drehte sich Samantha langsam um und schleppte sich die Treppe wieder hinauf.
Am frühen Nachmittag hatte Samantha das Gefühl, das teuflische Läuten sei dauerhaft in ihren Schädel eingedrungen. Sie befand sich auf allen vieren auf dem Fußboden von Gabriels Ankleidezimmer und streckte sich gerade, um an eine Seidenkrawatte heranzukommen, die etwas außerhalb ihrer Reichweite lag, als es erneut erklang. Sie fuhr hoch und stieß sich den Kopf heftig an dem Regalbrett über sich an. Das Brett verrutschte, und ein Dutzend Biberfellhüte regnete auf sie herab.
Sie verpasste ihnen einen Stoß und murmelte vor sich hin: »Ich kann mir nicht vorstellen, wozu ein Mann mit einem einzigen Kopf so viele Hüte braucht.«
Sie tauchte aus der stickigen Enge des Ankleidezimmers auf, das schweißfeuchte Haar klebte ihr am Kopf. In jeder Hand hielt sie ein Halstuch umklammert – wie zwei giftige Schlangen. »Sie haben geläutet, Mylord?«, knurrte sie.
Obwohl das Sonnenlicht, das durch das Fenster in den Raum strömte, Gabriels ungekämmten Schopf wie mit einem Heiligenschein umgab, ließ sein vernarbtes Gesicht die finstere Miene eines despotischen Prinzen sehen, der es gewohnt war, jede seiner Launen erfüllt zu bekommen. »Ich habe mich nur gewundert, wo Sie stecken«, erklärte er, und sein Tonfall hörte sich sogar noch mürrischer an als sonst.
»Ich habe nur rasch ein Sonnenbad am Strand von Brighton genommen«, antwortete sie. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie mich vermissen würden.«
»Gibt es Nachrichten von meinem Vater oder den Ärzten?«
»Nein, nicht seit ich vor zehn Minuten zum letzten Mal nachgesehen habe.«
Sein Mund verzog sich in stummem Tadel. Den ganzen Tag lang hatten sie beide schlechte Laune gehabt. Obwohl sie fast eine ganze Nacht lang ungestört geschlafen hatte, musste Samantha immer wieder an die Bruchstücke ihres Traumes denken und die nicht auszuschließende Möglichkeit, dass er ihre dumme Liebkosung gespürt hatte. Was, wenn er sie für eine pathetische, vertrocknete alte Jungfer hielt, die sich nach der Berührung eines Mannes verzehrte?
Verzweifelt darum bemüht, wenigstens einen Anschein von Anstand zwischen ihnen zu wahren, erwiderte sie steif: »Ich habe den halben Tag in Ihrem Ankleidezimmer verbracht, wo ich auf Ihre Anweisung hin Ihre Halstücher nach Stoffart und Länge sortiert habe. Sicherlich gibt es keine Aufgabe, die so dringend ist, dass sie Vorrang haben könnte.«
»Es ist so heiß hier drinnen.« Gabriel legte sich den Handrücken auf die Stirn. »Ich glaube, ich kriege Fieber.« Er schlug seine Decken zurück und entblößte seine kräftigen Schenkel. Samantha konnte nur dankbar sein, dass er sich heute Morgen ein Paar Hosen angezogen hatte, selbst wenn sie ihn nur bis zum Knie bedeckten.
Ohne es zu merken, betupfte sie sich ihren feuchten Hals mit einer seiner Krawatten. »Heute ist es außergewöhnlich heiß. Wenn ich vielleicht die Fenster öffnen …«
Sie war schon auf halbem Weg durch das Zimmer, als er scharf sagte: »Machen Sie sich nicht die Mühe. Sie wissen doch, dass mich der Fliederduft in der Nase kitzelt und ich niesen muss.« Er ließ sich in die Kissen fallen, hob seine Hand und fuchtelte damit herum. »Vielleicht können Sie mir ja einfach ein bisschen kühle Luft zufächeln.«
Samantha klappte die Kinnlade herunter. »Soll ich Ihnen auch ein paar frische Trauben in den Mund stecken?«
»Wenn Sie wollen.« Er griff nach dem Glöckchen. »Soll ich nach welchen läuten?«
Samantha biss die Zähne zusammen. »Warum versuchen Sie es nicht einfach mit ein bisschen kaltem Wasser? Sie haben noch etwas übrig von Ihrem Mittagessen.«
Nachdem sie die Halstücher über den Ankleidespiegel in der Zimmerecke gelegt hatte, goss Samantha ein Glas Wasser aus dem Krug ein, der auf dem Beistelltischchen stand. Das dickwandige Tongefäß war eigens dafür gemacht, das frische Quellwasser den Tag über kühl zu halten. Als sie sich dem Bett näherte, konnte sie ein Gefühl nicht abschütteln: Wenn Gabriel nicht blind wäre, würde er sie genauso argwöhnisch beobachten wie sie ihn.
»Hier, bitte sehr«, sagte sie und drückte ihm das Glas in die Hand.
Er weigerte sich, seine Finger darum zu
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