Geheimnis der Liebe: Roman (German Edition)
Mitte eine Belohnung.«
Samantha lachte. »Theseus hat nur einen Minotaurus gefunden.«
»So, aber der junge Krieger hat wegen seiner Kühnheit und seinem Mut beim Kampf mit der Bestie das Herz von Prinzessin Ariadne gewonnen.«
»Er hätte sich nie getraut, so kühn zu sein, wenn das kluge Mädchen ihm nicht ein verzaubertes Schwert und ein Garnknäuel gegeben hätte, damit er den Ausgang wiederfindet«, erinnerte sie ihn. »Wenn Sie Theseus wären, welche Belohnung wäre Ihnen am liebsten?«
Ein Kuss.
Die Antwort drängte sich ungebeten auf Gabriels Lippen und strapazierte seine Nerven noch mehr. Er begann bereits das hehre Versprechen zu bereuen, das er ihr heute Morgen gegeben hatte. Wenn nur das sinnlich-heisere Lachen seiner Pflegerin nicht so im Widerspruch zu ihrem prüden Gehabe stünde …
Vielleicht war es ja nur gut, dass er nicht sehen konnte. Wenn er ihre Lippen sehen könnte, würde er ständig denken, wie süß sie sich unter den seinen angefühlt hatten.
Er hatte heute schon einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Morgens darauf verwandt, darüber nachzusinnen, welche Farbe sie wohl hatten. Waren sie von einem zarten Rosa wie die Innenseite einer zierlichen Muschel, die zur Hälfte im grobkörnigen Sand steckte? Waren sie von dem Altrosa einer wilden Blume, die allen Widrigkeiten zum Trotz auf dem windgepeitschten Moor wuchs? Oder waren sie von dem üppigen Korallenrot einer exotischen Inselfrucht, die Zunge und Sinne mit Süße überflutete? Und welchen Unterschied machte ihre Farbe überhaupt noch, wenn er doch bereits wusste, dass sie köstlich voll waren, perfekt geformt für die Vergnügen des Küssens?
»Ich weiß, worin Ihre Belohnung bestehen wird!«, rief sie erfreut aus, als er nicht antwortete. »Wenn Sie sorgfältig genug üben, werden Sie schon bald so geschickt sein, dass Sie mich nicht mehr brauchen.«
Obwohl Gabriel ihren Scherz mit einem mürrischen Lächeln quittierte, fragte er sich allmählich, ob dieser Tag wohl je kommen würde.
Samantha kam zu ihm in der Nacht. Er brauchte weder Licht noch Farben, nur Gefühle: die Zitronensüße ihres Duftes, die seidige Glätte ihres losen Haares, das samtweich über seine nackte Brust glitt, ihr heiseres Wimmern, als sie ihren weichen Körper an den seinen schmiegte.
Er stöhnte, als sie sein Ohr küsste, mit der Zunge seine Lippen berührte, sein Kinn … seine Nasenspitze. Ihr warmer Atem strich kitzelnd über sein Gesicht; er roch nach modriger Erde, überlang gelagertem Fleisch und muffig feuchten Socken, die über einem Feuer zum Trocknen aufgehängt waren.
»Was, zur Hölle …« Aus dem Schlaf auffahrend schob Gabriel eine pelzige Schnauze aus seinem Gesicht.
Er setzte sich auf, rieb sich heftig mit dem Handrücken über die Lippen. Sein von Verlangen und Schlaf umnebeltes Gehirn benötigte mehrere Sekunden, um die Tatsache zu verarbeiten, dass es nicht Nacht, sondern Morgen war – und das überschwängliche Wesen in seinem Bett auf keinen Fall seine Pflegerin.
»Ach, wie schön!«, rief Samantha von irgendwo in der Nähe des Fußendes seines Bettes, und in ihrer Stimme schwang Stolz mit. »Sie beide haben sich gerade erst kennen gelernt, und schon hat der Kleine Sie ins Herz geschlossen!«
»Was zum Teufel ist das?«, verlangte Gabriel zu erfahren, der versuchte zu begreifen, was sich da abspielte. »Ein Känguru?« Er gab ein gedämpftes »Umpf!« von sich, als der Eindringling über seine schmerzenden Lenden sprang.
Samantha lachte. »Seien Sie nicht albern! Er ist ein ganz reizender junger Collie. Ich bin gestern Abend an der Hütte Ihres Wildhüters vorübergegangen, als der kleine Hund herausgesprungen kam und mich begrüßt hat. Mir war auf der Stelle klar, dass er perfekt sein würde.«
»Wofür?«, erkundigte sich Gabriel düster, während er das sich windende Geschöpf auf Armeslänge von sich zu halten versuchte. »Für den Sonntagsbraten?«
»Ganz bestimmt nicht!«, lautete Samanthas empörte Antwort, und sie entriss ihm das Tier. Aus dem zärtlichen Geraune, das darauf zu vernehmen war, schloss er, dass sie das kleine Ungeheuer tatsächlich auf den Arm genommen hatte und vermutlich auch noch mit ihm schmuste. »Nein, mein süßer Kleiner ist doch kein Braten, was? Nein, nein, nein, nicht unser süßer kleiner Knuddelhund.«
Gabriel ließ sich in die Kissen zurückfallen und schüttelte ungläubig den Kopf. Wer hätte gedacht, dass Miss Wickershams spitze Zunge einen solchen Unsinn von sich geben
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