Geheimnis des italienische Grafen
Finsternis. Deshalb hatte sie ihn nicht gesehen.
Immer gehörte er den Schatten an.
„Ich brauche nur – ein bisschen frische Luft“, stammelte sie.
„Ja, dieses Drama berührt auch mich.“
Sie sank gegen die Wand, dankbar für den Halt, den sie ihr bot. „Hast du Romeo geglichen, als du noch jünger gewesen bist?“
Lachend lehnte er neben ihr, der weiche Samt seines Ärmels streifte ihren nackten Arm, direkt über dem Rand ihres Handschuhs. Sie erschauerte. Doch sie rückte nicht zur Seite.
„Meinst du – ob ich immer gekämpft habe? Oder ob ich von herzlosen Rosalinden träumte, so wie Romeo von dem Mädchen, in das er vor der Begegnung mit Julia verliebt war? Beides, wie ich gestehen muss.“
„Dass Rosalinde dich zurückwies, kann ich mir nicht vorstellen, Marco.“
„Das tat sie nicht, aber ihr Beschützer hatte etwas gegen mich einzuwenden und forderte mich zu einem Duell.“
Fasziniert von seinen Worten und vom Klang seiner Stimme, strich sie mit den Fingern über die Wand zwischen ihnen. Beinahe berührte sie seine Hand. „Was geschah? Hast du den Mann getötet?“
„Dazu erhielt ich keine Gelegenheit. Mein Vater erfuhr von dem Streit und entschied, nun hätte er die Nase voll von meinen jugendlichen Dummheiten. Kurz entschlossen schickte er mich zum Militär.“ Für ein paar Sekunden verstummte er und schlang seine Finger in ihre.
„Und deine Rosalinde? Was geschah mit ihr? Hast du sie jemals wiedergesehen?“
Marco schüttelte den Kopf. „Ein Gentleman genießt und schweigt.“
„Bist du jetzt ein Gentleman, Marco?“, hänselte sie ihn. „Trotz deines vornehmen Titels bin ich mir nicht sicher …“
„Nun, ich tue mein Bestes, cara . Aber manche Leute machen es mir nicht leicht.“
Thalia trat vor ihn hin. Zu beiden Seiten seiner Schultern stützte sie ihre Arme gegen die Wand. Mühelos könnte er sie beiseitestoßen, wie ein Gebilde aus zartem Tüll. Aber ihr gefiel die Illusion, sie würde ihn gefangen halten – und ausnahmsweise die Kontrolle übernehmen.
„ Mich kannst du nicht meinen“, erwiderte sie leise, stellte sich auf die Zehenspitzen, und ihre Körper berührten einander.
„Nicht nur dich“, antwortete er heiser. Seine Augen verschwanden im Schatten, seine Schultern spannten sich an. „Auch deine Schwestern. Zu Unrecht werdet ihr Musen genannt. Denn ihr seid so halsstarrig und gefährlich wie die Furien.“
„Hast du mit deiner Rosalinde auch so geredet? Wenn ja, ist es keine Wunder, dass du solche Schwierigkeiten mit ihr hattest!“
Thalia schmiegte sich enger an ihn und schwelgte in der Reaktion seines Körpers. Wenn sie schon ins Verderben stürzte – dann nicht allein . „Erzähl mir, was geschehen ist“, flüsterte sie. „Kam sie in der Nacht vor dem Duell zu ihr? Warf sie sich in deine Arme? Vielleicht so?“ Sie hauchte einen zarten Kuss auf sein Kinn und atmete seinen Duft ein.
„Bitte, Thalia.“ Er umfasste ihre Oberarme und schob sie weg. „Das dürfen wir hier nicht tun.“
Sie spähte in den Korridor. Erschrocken musste sie ihm zustimmen. Jederzeit konnte jemand vorbeigehen und sie entdecken, so wie im Museum. Ein weiterer Beweis für die Gefahr, dass sie den Verstand zu verlieren drohte …
Trotzdem war es ihr egal. Zumindest in diesem Moment. Sie ergriff Marcos Hand und zog ihn mit sich durch den Wandelgang, bis sie eine stille Nische fanden, die als Lagerraum für einige Stühle diente. „Und hier?“, wisperte sie.
„Thalia, bella “, stöhnte er. Endlich nahm er sie in die Arme. „Natürlich war es ein Fehler, dich eine Furie zu nennen.“
„Und was bin ich dann?“
„Aphrodite, ohne jeden Zweifel.“
Leise lachte sie. Er presste seinen Mund auf ihren, ihr Atem mischte sich. Wann immer sie allein waren, so wie jetzt, im betörenden Dunkel vereint, verschwand die restliche Welt. Es gab nur noch Marco, sein verführerisches Wesen, die Gefühle, die er in ihr weckte. Als würde sie in grenzenloser Freiheit dahinschweben, als wäre er ihre andere Hälfte, als würde es in seinen Armen keine Illusionen mehr geben. Nur mehr die beiden Körper existierten, die beiden Seelen, miteinander verschmolzen.
Doch darin lag die größte Illusion. Marcos ganzes Leben bestand aus düsteren Schleiern, ein schwarzer Vorhang, den Thalia nur um wenige Zentimeter beiseiteschieben konnte, um für einen kurzen Moment die ganze helle Wahrheit zu erkennen.
Widerstrebend beendete sie den süßen Kuss und legte den Kopf an seine Brust.
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