Geheimnis des Verlangens
fair von ihm, sie beiseite zu schieben, obwohl er ihr versichert hatte, dies würde nicht geschehen. Diese Unentschlossenheit war nicht nur äußerst lästig, sondern passte auch ganz und gar nicht zu ihm.
Dann stellte er zu seinem Missvergnügen fest, wie er voller nervöser Unruhe auf und ab marschierte, während Alicia Tanya nach oben begleitete, um ihr deren Zimmer zu zeigen. Diese beiden so ganz allein zu wissen, erwies sich als unerhört beunruhigend. Die eine hatte die Angewohnheit, Messer zu schwingen, obwohl sie, Gott sei Dank, jetzt keine mehr trug, und die andere hatte die Angewohnheit, zu verteidigen, was sie für ihr Eigentum hielt. Und Alicia glaubte immer noch, er gehöre ihr. Nicht auszudenken, was da alles passieren konnte. Aber nichts passierte, oder wenigstens nichts, von dem ihm die eine oder andere etwas erzählte. Und dieser Umstand ärgerte ihn unglaublicher Weise noch mehr als die Tatsache, dass er sich darüber Sorgen gemacht hatte.
Stefan hatte sich sogar in helle Wut hineingesteigert, als Sandors Mann nicht aufgetaucht war, um mit ihm zu sprechen, obwohl Alicia ihm versichert hatte, der Bursche würde in Windeseile erscheinen. Stefan hatte daraufhin ein Schreiben vorbereitet, das der Mann seinem Vater überbringen sollte. Aber er hatte wohl lediglich seine Ankunft zur Kenntnis genommen und war dann sofort nach Cardinia aufgebrochen, ohne auch nur nach der Prinzessin zu fragen, über die Sandor sicher gern mehr gehört hätte.
Und was sollte er Sandor über Tanya sagen? Die Wahrheit? Nur die halbe Wahrheit?
Sandor würde sich selbst die Schuld an Tanyas beklagenswerter Erziehung geben. Wie konnte er das Kind mit nur einer einzigen Begleitperson wegschicken, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass diesem einzigen Beschützer etwas zustoßen konnte ... Nein, er konnte seinem Vater nicht die ganze Wahrheit sagen. Er würde sich schon genug darüber aufregen, dass Tanya nicht standesgemäß aufgewachsen war. Er brauchte nicht zu wissen, wie wenig standesgemäß ihre weitere Entwicklung verlaufen war. Aber Stefan hatte ihn noch nie zuvor belogen. Dass er jetzt damit anfangen musste , und ausgerechnet wegen einer Frau, war unerträglich.
Offensichtlich war er heute in einer Stimmung, in der ihn schon die winzigste Kleinigkeit irritieren konnte. Aber nach all den Wochen auf See war es wahrscheinlich kein Wunder, dass er jetzt ein wenig Dampf ablassen musste . Nein, es sah wohl doch eher so aus, als wäre Tanya dafür verantwortlich. Erst ihr seltsames Benehmen in der Kabine und dann wieder in 4er Kutsche. Man hatte ihm erzählt, dass sie nicht länger an ihrer eigenen Identität oder der ihrer Begleiter zweifelte, und er hatte durchaus erwartet, dass sie daraufhin ein wenig anders sein würde. Aber dieses ganze alberne Gerede? Und solche drastischen Stimmungsschwankungen? Nicht einmal, wenn sie es sich vorgenommen hätte, ihn in Rage zu bringen, hätte sie einen größeren Erfolg erzielen können. Der Versuch herauszufinden, was sie im Schilde führte — und er zweifelte nicht im geringsten daran, dass sie irgend etwas im Schilde führte —, war unglaublich frustrierend.
Und was, zum Teufel, dachte Vasili sich dabei, sich über Alicia herzumachen, als wäre sie seine Mätresse und nicht Stefans? Tat er das Tanya zuliebe? Seit wann wollte Vasili Tanyas Gefühle schonen? Und Alicia ging auch nur halbherzig auf Vasili s gekonnte Vorstellung ein. Aber Tanya war nicht dumm; sie hatte diesen Kuss miterlebt, und es war ihr ganz egal gewesen, und das war bisher überhaupt das Ärgerlichste an diesem Tag. Sie scherte sich keinen Deut darum, dass sie mit seiner Mätresse am selben Tisch saß. Keine andere Frau hätte sich das gefallen lassen, doch seine zukünftige Braut nahm keinen Anstoß daran.
Er beobachtete sie, wie sie zwischen Lazar und Serge saß, mit ihnen sprach und gelegentlich lachte. So hatte er sie noch nie zuvor gesehen, gelöst, zufrieden mit Gott und der Welt — und absolut nicht wütend. Hatte er sich länger als notwendig von ihr ferngehalten? Nein, er konnte immer noch nicht in ihrer Nähe sein, ohne sie zu begehren. Es war nicht mehr, als sie ihm selbst erzählt hatte — sie mochte Lazar und Serge jetzt beide gut leiden, das bedeutete aber keinesfalls, dass sich ihre Gefühle für ihn irgendwie geändert hatten, und trotz ihrer Redseligkeit am Morgen hatte sie den ganzen Abend über noch kein einziges Wort an ihn gerichtet. Tatsächlich sprach sie mit jedem außer
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