Geheimnis des Verlangens
wolle sie es vermeiden, den Männern im Raum ins Gesicht zu sehen, trug zu diesem Eindruck bei. Ihre bloßen Füße waren der einzige Teil ihres Körpers, der nackt war — abgesehen von den ein oder zwei Zoll Haut um ihren Bauchnabel herum. Doch auch dieser Anblick war den Männern nur selten vergönnt, nur dann, wenn sie bei den langsamen, wellenförmigen Bewegungen ihres Unterleibes sich für einen winzigen Augenblick aufrichtete.
Hoffentlich würde Vasili dieser kurze, erregende Blick auf einen entblößten Bauchnabel genügen, denn mehr würde er, wenn es nach Stefan ging, nicht zu sehen bekommen. Jedenfalls nicht in dieser Nacht. Die Frage war nur, wie er das verhindern sollte, nachdem Vasili seine Absicht bereits angekündigt hatte. Ein offenes Wort schien der einfachste Weg zu sein, und das versuchte er auch, sobald das Mädchen seinen Tanz beendete und durch eine schwarze Tür von der Bühne verschwand.
»Du hast in letzter Zeit so viele vernascht, Vasili , die da wirst du mir überlassen.«
»So, werde ich das?« Der Mann mit dem goldenen Haar fuhr überrascht herum. »Hast du das gehört, Lazar? Er will mir das Weib unter den Händen wegstehlen!«
»Noch liegt sie nicht unter deinen Händen, und außerdem hat er recht«, sagte Lazar , der mit Stefan völlig übereinstimmte. »Du hast dich in den vergangenen Wochen wirklich mehr als reichlich bedient, mein Freund. Dir ist doch jede Frau recht; unser Stefan hier ist da viel wählerischer.«
»Ich bin gern bereit zu teilen.«
»Aber ich nicht«, sagte Stefan mit gefährlicher Sanftheit.
»So ist das also, ja?« fragte Vasili , halb entrüstet halb belustigt. »Warum hast du das nicht gleich gesagt? Du kannst sie haben — falls sie dich will.«
Vasili hatte sich nichts Böses bei seinen Worten gedacht, aber als er hörte, wie Lazar entsetzt nach Luft schnappte, begriff er, wie grausam sein Spott gewesen war. Ungewollt, aber auch unmissverständlich . Er wurde leichenblass . Er selbst war ein stattlicher, gutaussehender Mann und stellte seine Freunde in dieser Hinsicht unzweifelhaft in den Schatten. Die Frauen beteten ihn an, und früher hatte Vasili seinen Freunden diese Tatsache oft neckend unter die Nase gerieben. Aber das war, bevor Stefan bei dem Versuch, seinen einzigen Bruder vor einem Rudel hungriger Wölfe zu retten, entstellt wurde.
»Ich wollte nicht...« Vasili war so entsetzt über sich selbst, dass er den Satz nicht zu Ende bringen konnte. Heftig schob er seinen Stuhl zurück und ging, ohne sich noch einmal umzusehen, mit langen Schritten aus dem Raum.
»Er hat es nicht so gemeint. Es sollte nur ein Witz sein«, sagte Lazar zögernd in die Stille hinein, die plötzlich ihren Tisch zu umgeben schien. »Genau so etwas hätte er vor zehn Jahren gesagt.«
»Hältst du mich für so dumm, dass ich das nicht weiß?«
»Heiliger Jesus, Stefan«, beklagte sich Lazar. »Wenn du doch nur nicht so schrecklich empfindlich wärest, was das betrifft...«
»Lauf hinter ihm her, bevor er sich die Kehle durchschneidet, weil er denkt, er hätte mich verletzt. Mach ihm klar, dass meine Haut viel dicker ist, als ihr beide zu glauben scheint.«
Aber das war eine Lüge. Vasili s Erinnerung, dass Frauen — und ganz besonders schöne Frauen — Stefan möglichst aus dem Wege gingen, hatte eine alte Wunde aufgerissen. Wie die meisten Männer, die es sich leisten konnten, nahm auch Stefan eine Frau, wenn ihm der Sinn danach stand. Aber das waren immer nur Huren gewesen, Frauen, die kaum eine Wahl mehr hatten, wenn sie erst einmal einen Blick auf sein Gold geworfen hatten. Aber ihren Widerwillen spürte er trotzdem, und so kam es, dass er nur selten seinem Verlangen nachgab.
Er fragte sich, warum er das vergessen hatte, als die kleine Hure zu tanzen begann. War es vielleicht nur ihr Tanz gewesen, der ihn so sehr entflammt hatte, dass er sie unbedingt besitzen wollte? Oder lag es daran, dass er so lange keine Frau neben sich gespürt hatte? Diese Frau hatte jedenfalls tief in seinem Innern etwas aufgewühlt, obwohl er den Tanz selbst ironischerweise gar nicht für so erotisch gehalten hatte. Aber all das spielte jetzt keine Rolle mehr, denn sein Verlangen war erloschen.
Andererseits wollte er auch noch nicht ins Hotel zurückkehren, wo Vasili und Lazar auf ihn warten würden. Die beiden sollten nicht merken, dass er seine Meinung geändert und auf das Mädchen verzichtet hatte.
Also saß er noch immer dort, trank sein Bier aus und beobachtete brütend die
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