Geheimnis des Verlangens
wieder an ihrem richtigen Platz saßen, konnte man tatsächlich schwache schwarze Flecken auf dem Stoff erkennen, obwohl Stefan in Wirklichkeit an ihren Augen gar keine Spuren von Kohlestift entdeckt hatte. Jetzt allerdings waren sie tatsächlich ein wenig verschmiert, und selbst die dunklen Schatten unter ihren Augen schienen ein wenig heller geworden zu sein, so fest hatte sie sich über das Gesicht gerieben — ein Umstand, der ihm jetzt Gewissensbisse eintrug und den Preis, den er für sie zu zahlen bereit war, drastisch in die Höhe trieb.
»Wenn Ihr jetzt damit fertig seid, mir meine verschiedenen Fehler vorzuhalten, könntet Ihr mir vielleicht sagen, was Ihr wollt. Ich habe noch andere Kunden ...«
»Dich!«
»Wie bitte?«
»Ich will dich.«
Also hatte sie beim ersten Mal doch richtig gehört. Aber er musste sich einen Spaß mit ihr erlauben, denn sie wusste , wie sie aussah. Sie hatte sieben Jahre gebraucht, bis sie diese Maskerade perfekt beherrschte, und jetzt kostete es sie nur noch wenige Minuten, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Ihre Erscheinung sollte die Männer abstoßen, statt sie anzuziehen. Und dieser Mann sah auf eine rauhe, dunkle Art ungeheuer gut aus. Nach dem Schnitt seines Marinemantels zu urteilen, der sich so vollkommen über seine breiten Schultern legte, war er außerdem noch wohlhabend. Aber hinter eben dieser Kombination von Geld und gutem Aussehen verbarg sich für gewöhnlich genau der Typ Mann, für den sie prinzipiell unsichtbar war.
Auf den ersten Blick hatte sie ihn für einen Spanier oder Mexikaner gehalten, weil er so dunkel und fremdländisch aussah. Aber einen spanischen Akzent hätte sie erkannt, und was sie aus seinem sehr korrekten Englisch heraushörte, war eindeutig etwas anderes. Vielleicht kam er ja aus dem Norden. Aus dem Teil des Landes hatten sie nur selten Gäste in ihrer Taverne, denn die Männer von dort waren viel zu verwöhnt, um Gefallen an der rauhen Gesellschaft zu finden, die man im Harem antraf. Dieser Besucher hier hatte hagere Gesichtszüge wie ein Falke, seine Augenbrauen waren von flammendem Schwarz und seine Lippen schmal und gerade. Sein starkes, männliches Kinn war rasiert und glatt — bis auf die Narben. Sie übersäten den oberen Teil seiner linken Wange, jedes dieser von oben nach unten gezogenen Male einen halben Zoll lang. Dieselben Striemen zeigten sich auf seinem Unterkiefer, als hätte irgendein Tier seine Zähne in das Gesicht des Mannes geschlagen, ein Tier, das noch gerade rechtzeitig davon abgehalten werden konnte, diese Hälfte seines Gesichtes zu zerfleischen.
Seine Narben erweckten in ihr ein Gefühl der Verbundenheit. Sie hatten ihm Schmerzen bereitet, und Schmerz war etwas, das sie selbst nur allzu gut kannte. Aber sie würde sich von ihrem Mitgefühl nicht dazu hinreißen lassen, ihm zu gestatten, sich auf ihre Kosten zu amüsieren.
Die kühne Feststellung dieses Mannes, dass er sie wolle, verdiente nicht einmal eine Antwort. So sagte sie nur: »Ich denke, Aggie sollte diese Bestellung aufnehmen. Ich werde sie zu Euch schicken.«
Sie drehte sich um und machte einen Schritt von ihm weg, nur um im selben Augenblick zu spüren, wie etwas ihren Gürtel festhielt und sie zurückriß — seine Hand. Sie stolperte über seine Beine und landete mit Schwung direkt auf seinem Schoß. Im ersten Augenblick war sie zu keiner Reaktion fähig, so sehr hatte er sie mit diesem Verhalten verblüfft.
Schließlich warf sie ihm einen erbitterten Blick zu und sagte mit einem warnenden Unterton: »Ihr stellt Euer Glück auf eine harte Probe, Mister.«
»Seht«, erwiderte er grinsend. »Du hast keinen Grund, dich zu beschweren.« Mit diesen Worten warf er ihr fünf Goldmünzen in den Schoß — eine jede im Wert von zwanzig Dollar!
Tanya, die nie zuvor soviel Geld auf einmal gesehen hatte, starrte die Münzen nur ungläubig an. Sie wusste genau, dass April und Aggie ihre Gunst für ein oder zwei Dollar verkauften, und das war immer noch eine ganze Menge mehr, als Dobbs ihnen für einen ganzen Abend harter Arbeit bezahlte. Wenn sie daran dachte, was sie mit diesem Geld alles anfangen könnte! Sie könnte noch jemanden einstellen, sie könnte sich neue Kleider kaufen, etwas, das sie nie zuvor hatte tun können ... Also machte er gar keine Witze?
Gott steh ihr bei! Nie im Leben war sie so sehr in Versuchung geführt worden! Der Drang, diese Münzen zu berühren, war ungeheuer... Er war wirklich ein Teufel, dass er sie dazu brachte, sein
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