Geheimnis des Verlangens
seine Stimmung wider. Der unerwartete Empfang hatte seine Spottlust geweckt.
Wilbert Dobbs, der sich lauthals über die Verspätung seines Frühstücks beschwerte, wies ihnen persönlich den richtigen Weg: eine schmale Stiege hoch und einen noch schmaleren Gang entlang. Er hörte sich überhaupt nicht wie ein Kranker an, sondern eher wie ein gereizter alter Mann, der Hunger hatte.
Lazar fand diesen Teil ihrer Suche nach wie vor höchst unterhaltsam — wahrscheinlich aus dem einzigen Grund, weil Vasili das nicht tat. Er war schon wieder nahe daran, in lautes Gelächter auszubrechen: »Ob unser grünäugiger kleiner Drache da unten wohl das faule Luder ist, nach dem er ruft?« überlegte er laut.
»Luder vielleicht, aber faul?« erwiderte Serge. »Die Frau arbeitet sich noch zu Tode, wenn du mich fragst. Nach ihrem Aussehen zu urteilen, steht sie jedenfalls schon mit einem Fuß im Grab.«
Serge konnte noch unbarmherziger auf das Offensichtliche hinweisen als Vasili , und bei Stefan regte sich wieder das schlechte Gewissen. Er hätte nicht so hart mit ihr umspringen dürfen. Sie sah wirklich grausam überarbeitet aus, und vielleicht war das auch der Grund für ihre schlechte Laune — und nicht die Ereignisse des gestrigen Abends. Nein, er hätte sich nicht derart aus der Fassung bringen lassen dürfen.
»Was soll das?« fragte Vasili ungeduldig. »Diese unverschämte Schlampe ist es wahrhaftig nicht wert, dass wir uns den Kopf über sie zerbrechen — besonders jetzt nicht, wo wir jeden Augenblick etwas über den Aufenthaltsort der Prinzessin erfahren könnten!«
»Oder auch nicht!« stellte Serge fest, obwohl er seine Hand sofort nach dem Türgriff ausstreckte. »Und so ein weiteres >Nicht< würde ich liebend gern noch etwas hinausschieben.«
»Zur Hölle mit dir, Tanya!« wurden sie begrüßt, noch bevor sie die Tür ganz geöffnet hatten. »Welche Entschuldigung ...«
Die Worte erstarben auf seinen Lippen, als er die vier Männer einen nach dem anderen in das kleine Zimmer hereinmarschieren sah. Die Schlafkammer war so winzig, dass sie kaum alle gleichzeitig dort Platz hatten. Wilbert Dobbs fuhr in seinem Bett hoch, was angesichts seines aufgedunsenen Körpers keine leichte Übung war.
»He! Was soll das? Wie sind Sie hier reingekommen?« polterte er. Der Ton, in dem er sie ansprach, unterschied sich jedoch deutlich von dem, in dem er mit dieser Tanya zu sprechen pflegte. Er legte sogar eine gewisse Ehrerbietung an den Tag. Ihre kostbare Kleidung und ihr Benehmen hatten ihm rasch klargemacht, dass er es hier nicht mit seinesgleichen zu tun hatte. »Tanya weiß ganz gut, dass ich hier keine Besucher nich haben will!«
»Wenn Sie das Mädchen da unten meinen, sie trifft keine Schuld. Sie hat wirklich ihr Bestes getan, um uns abzuwimmeln«, meldete sich Lazar zu Wort.
»Dann war's eben nich gut genug!« schnaubte Dobbs verächtlich. »Aber schön. Hören wir's uns eben an. Ich bin neugierig, was ihr feinen Herrn wohl von mir wollen tut.«
»Unser Anliegen betrifft Ihre verstorbene Frau«, antwortete Lazar.
»Iris? Was? Hat sie vielleicht was geerbt? Von dieser feinen Familie, die nichts mehr von ihr wissen wollte, weil sie mich geheiratet hat?«
Dobbs lachte bei dem Gedanken, dass sich sein Fehler von damals nach so langer Zeit nun vielleicht doch noch bezahlt machen könnte. Iris hatte ihn seinerzeit nur aus Verzweiflung geheiratet. Ihr reicher Liebhaber hatte sie geschwängert und wollte sie dann nicht mehr haben. Dobbs hatte sich damals gedacht, sie würde der kleinen Taverne, die er kurz zuvor in Natchez aufgemacht hatte, ein wenig Klasse verleihen. Also hatte er die Chance mit beiden Händen ergriffen und ihr seinen Namen angeboten. Aber dann hatte sie ihren Balg verloren und war schließlich so heruntergekommen, dass sie ihm nichts mehr nützte. Sie waren auf diese Weise alle beide als Verlierer aus diesem Handel hervorgegangen.
Seine Hoffnung auf ein verspätetes Erbe wurde jedoch schnell zunichte gemacht. »Wir wissen nichts über die Familie Ihrer Frau, Mr. Dobbs«, sagte derselbe Mann, der bereits vorher mit ihm gesprochen hatte. »Unser Interesse gilt der Frau, mit der zusammen sie vor etwa zwanzig Jahren New Orleans verlassen hat.«
»Diese verrückte Ausländerin?«
»Ihre Frau hat Ihnen also von ihr erzählt?« fragte Lazar.
»Ich habe sie doch selbst getroffen, als ich mir Iris wieder einfing.«
Es behagte ihm gar nicht, an diese Zeit erinnert zu werden. Seine Frau war ihm damals
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