Geheimnis des Verlangens
weggelaufen. Zurück nach Hause, nach New Orleans, um ihre Leute zu bitten, sie wieder aufzunehmen. Vergeblich, wie sich später herausstellte. Er hatte damals die besten Vorsätze gehabt, ihr die Seele aus dem Leib zu schlagen — obwohl sie zu ihm zurückkehrte. Aber sie hatte diese fremde Frau bei sich gehabt, die, kaum dass er sie gefunden hatte, auch schon am Fieber starb. Und dann war da doch das Baby gewesen. Es hatte ihn bitter erzürnt, dass er nun darauf verzichten musste , Iris zu schlagen. Aber sie musste schließlich gesund und kräftig sein, um sich um das Baby kümmern zu können. Und das Baby war damals wichtiger gewesen als seine Rache, denn er hatte schon im ersten Augenblick beschlossen, es zu behalten. In ein paar Jahren würde es so gut wie jeder andere Sklave sein — und er bekam es umsonst.
Als er sich nun ins Gedächtnis rief, wie er damals an Tanya gekommen war, wurde er plötzlich wachsam. »Es gibt nicht viel über diese Frau zu sagen«, schnappte er angriffslustig. »Sie hatte keinen Penny auf der Tasche, aber sie hat es geschafft, Iris zu beschwatzen, sie mitzunehmen. Obwohl der Einspänner für sie beide wirklich ein bißchen klein war. Aber Iris hatte eben immer ein weiches Herz.«
»Es gibt doch eine direkte Schiffsverbindung zwischen New Orleans und Natchez. Warum ist Ihre Frau da über Land gereist? Und noch dazu völlig ohne Eskorte?« fragte Lazar.
»Na, sie hatte doch kein Geld nich für die Überfahrt — obwohl ich wirklich nich einsehe, was Sie das alles angeht. Aber wenn Sie's unbedingt wissen wollen: Sie ist mit dem Einspänner runtergefahren. Mit meinem Einspänner! Und es war ihr verdammtes Glück, dass sie ihn nicht verkauft ...« Dobbs verfiel in düsteres Schweigen, denn ihm war bewußt, dass er mehr sagte, als sie wissen musste n. Aber da er nun schon soviel ausgeschwatzt hatte, gab er zu: »Das Weib dachte tatsächlich, sie könnte mir weglaufen. Aber dann begriff sie, dass sie nirgendwohin konnte. Als ich sie wieder aufgriff, war sie bereits auf dem Rückweg. Sie hatte am Fluß ein Lager aufgeschlagen und versuchte, diese Frau gesund zu pflegen. Aber das Fieber war stärker. Ich weiß noch, dass diese Ausländerin wie besessen schrie. Irgendwelchen Unsinn von Attentaten und Königen. Aber meistens schrie sie in einer Sprache, die wir nie zuvor gehört hatten. Wenn man sie mal verstehen konnte, ging es meistens um irgendeine Pflicht, bei der sie versagt hätte. Weiß Gott, was sie meinte. Jedenfalls starb sie noch in derselben Nacht. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Ich glaube doch, Mr. Dobbs.« Die Stimme des dunklen Mannes klang schneidend scharf, und seine Augen hätten wahrhaftig dem Teufel gehören können. »Sie haben das Kind vergessen!«
Dieser Mann mit seinen fremden, durchdringenden Augen flößte Dobbs mehr Angst ein als die drei anderen zusammen, die alle viel zu ernst aussahen. Ein einziges, übermächtiges Gefühl schien den Mann zu beherrschen. Er hatte sich zwar unter Kontrolle, wirkte aber nichtsdestoweniger äußerst gefährlich. Dieselbe intensive Spannung war auch den anderen Männern anzumerken, nur trat sie bei dem Dunklen deutlicher zutage. Dobbs fragte sich, was so wichtig an der Information sein könnte, der sie auf der Spur waren, und warum sie diese Spur nach so vielen Jahren überhaupt verfolgten.
Sein Gesichtsausdruck hatte nichts von seiner Wachsamkeit verloren, aber sein Ton war um einiges umgänglicher und weicher geworden, als er sagte: »Ich habe es nicht vergessen. Es ist nur so traurig, dass ich mich ungern daran erinnere. Das ist alles ... Ja, da war ein Baby. Aber es hat sich bei seiner Mutter angesteckt und ebenfalls dieses Fieber bekommen. Es gab nichts, was Iris oder ich hätten tun können, um es zu retten. So sehr wir es auch versucht haben.«
Kapitel 6
» T ot?« Der ungläubige Ausruf kam gleich aus zwei verschiedenen Richtungen gleichzeitig. Dobbs wusste nicht, ob er sich nun weiter über dieses Thema auslassen sollte, oder ob er nicht zur Abwechslung selbst ein paar Antworten verlangen konnte. Aber seine Hände hatten mittlerweile stark zu schwitzen begonnen, und auch auf seiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen. Nur zu deutlich war er sich dieser teuflischen Augen bewusst , die versuchten, ihm direkt hinter die Stirn zu schauen. Und er hatte das Gefühl, dass sich diese Augen nicht so leicht etwas vormachen ließen.
Er räusperte sich und wischte sich verstohlen die Hände am Bettuch ab.
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