Geheimnis des Verlangens
sein, ignorieren. Außerdem blieb ihr nichts anderes übrig, als schweigend hinzunehmen, dass Stefan tatsächlich sein Bad in ihrer Gegenwart nehmen würde. Das eine war leichter getan als das andere.
Energisch kämpfte sie sich mit der Bürste durch ihr zerzaustes Haar, und sie unterbrach ihre Beschäftigung nur dann, wenn das unverkennbare Geräusch von spritzendem Wasser an ihr Ohr drang. Wieder schoß ihr das Blut in die Wangen, eine Tatsache, die sie in Rage brachte. Warum sollte es ihr peinlich sein, wenn er derjenige war, der da nackt in seiner Wanne saß?
»Eure Hoheit?«
Aus den Augenwinkeln sah sie Saschas Hand auftauchen, die ihr einen Lederstreifen hinhielt, mit dem sie ihr Haar zusammenbinden konnte. Sie nahm ihn an und hielt ihre Lippen fest verschlossen, statt die Anrede, die er benutzte, zu korrigieren. Dass sie sogar den Dienern beigebracht hatten, sich zu verstellen, war in ihren Augen fast schon eine Garantie dafür, dass sie diese Prinzessinnenmasche regelmäßig abzogen. Und wieder fragte sie sich, ob sie nicht vielleicht doch irgendwo an Bord der Lorelei noch andere Mädchen verstaut hatten. Mädchen, die gerade jetzt alle daran glaubten, dem schönen Vasili versprochen zu sein. Aber womit hatte sie nur das Glück verdient, diesen Teufel am Hals zu haben, der auf sie aufpaßte? Vermutlich hatte man ihm die Unruhestifter zugeteilt, und sie hatte sich ja von allem Anfang an als besonders störrisch erwiesen.
Erneut packte sie heiße Wut über dieses Schicksal, das sie ohne ihr Dazutun ereilt hatte. Sie kam sich wie eine Närrin vor, wie sie da in der Mitte der Kabine stand und Stefan den Rücken zukehrte. Also gut, damit war es jetzt vorbei. Wenn er sie mit seiner Nacktheit aus der Fassung bringen wollte, würde sie den Spieß einfach umdrehen. Mal sehen, wie er sich dann fühlte.
Langsam ging sie zu dem Sessel hinüber, setzte sich hin und machte sich daran, ihn unverhohlen anzustarren, während sie weiter ihr Haar bürstete. Er saß wirklich in der Wanne — und zwar wirklich nackt. Aber sie hatte schon früher nackte Männerbrüste gesehen und sogar noch mehr. Eines Nachts hatte es in dem Bordell neben der Taverne Feueralarm gegeben, und alle Mädchen waren mitsamt ihren Kunden auf die Straße gerannt, alle mehr oder minder unbekleidet. Mit diesem Spektakel hatten sie damals für unbändige Erheiterung in der Nachbarschaft gesorgt. Aber an Stefan in dieser Wanne war überhaupt nichts Komisches ... Nun, ein kleines bißchen komisch war es vielleicht doch. Die Wanne war rund und ziemlich klein, und er musste sich regelrecht zusammenklappen, um überhaupt hineinzupassen; er hatte die Knie bis an die Brust hochgezogen. Im Augenblick goß Sascha Wasser aus einem zusätzlichen Kübel über Stefans frischgewaschenes Haar, daher wusste er noch nicht, dass sie beschlossen hatte, sich an seinem Anblick zu ergötzen.
Selbst nackt war er noch ein dunkler Teufel, obwohl seine Knie nicht annähernd so dunkel waren wie sein Oberkörper, ein Beweis dafür, dass ein Teil seiner Bräune von der Sonne stammte. Das Haar an seinem Körper beschränkte sich auf ein Minimum, bis auf ein dichtes, Y-förmiges Vlies schwarzer Locken mitten auf seiner Brust. Sie betrachtete die Narben in seinem Gesicht, kaum erkenntlich aus dieser Entfernung, und versuchte, sich an das verständnisvolle Mitgefühl zu erinnern, das sie empfunden hatte, als sie diese Narben zum erstenmal gesehen hatte. Es war ihr immöglich. Der Mann hatte sich seit ihrer ersten Begegnung derart aufreizend gezeigt, dass er jetzt kein Mitleid mehr in ihr erwecken konnte.
Sascha reichte ihm ein Handtuch, mit dem er sich das Wasser aus Gesicht und Augen wischen konnte. Als das Handtuch sich senkte, sah Stefan zu der Stelle hinüber, an der Tanya vorher gestanden hatte. Er brauchte nicht einmal eine Sekunde, um seinen Kopf umzudrehen und sie in dem Sessel zu entdecken. Dann hob er eine schwarze Augenbraue, als er feststellte, dass sie ihn beobachtete. Sie erwiderte diese Geste. Er lachte. Sie nicht. Er erhob sich. Sie war davon überzeugt, dass sie auf der Stelle in Ohnmacht fallen würde. Aber dieses Glück hatte sie nicht.
Gütiger Gott, er war die reine Männlichkeit, roh und wild, hart und prachtvoll gebaut, breit in den Schultern, schmal in der Hüfte, massig in den Schenkeln. Und die Wurzel seiner Manneskraft... Sie Schloss die Augen. Er fing wieder an zu lachen* Ein grausames Geräusch, das sie zutiefst verletzte. Und sie hatte geglaubt, das
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