Geheimnis des Verlangens
niemals mein Bett zu teilen. Also kann ich mir nicht vorstellen, wie ... Wartet mal, wollt Ihr damit andeuten, dass ein Bastard als Erbe akzeptiert werden würde?«
»Nein! Ich meine, ja ... Vergesst es.«
Ohne ein weiteres Wort drängte er sie in den Speisesaal. Tanya warf ihm aus den Augenwinkeln heraus einen vorsichtigen Blick zu und sah, dass er nicht nur völlig durcheinander war, sondern aus irgendeinem Grund auch ausgesprochen verärgert. Wie sollte sie sich das wieder zusammenreimen? Nicht dass es irgendeine Rolle gespielt hätte. Wenn sie zum Abendessen gehen durfte, dann war es sehr wahrscheinlich, dass sie später auch am Dinner teilnehmen durfte, und das war das einzige, das sie im Augenblick interessierte — eine weitere Gelegenheit zur Flucht.
Daher riß sie sich während des Essens ungeheuer zusammen, fing keinen Streit an und versagte es sich, irgendwelche beißenden Bemerkungen zu machen, sogar gegenüber Vasili , was sie als eine ausgesprochene Heldentat betrachtete, da er nicht annähernd so taktvoll war. Es gelang ihr sogar, die mißbilligenden Blicke zu ignorieren, die ihr die anderen Passagiere zuwarfen. Sie wusste nicht genau, ob die unmögliche Geschichte, die die Männer in Umlauf gebracht hatten, daran Schuld war oder ihr ziemlich unweiblicher Aufzug; beide Gründe reichten jedoch aus, um sie in den Augen aller Anwesenden unmöglich zu machen.
Statt dessen unterhielt sie sich damit zu beobachten, wie jede andere Frau im Speisesaal versuchte, mit Blicken Vasili s Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und nicht nur einmal, sondern ununterbrochen. Stefan hatte also recht in dieser Hinsicht. Die meisten Frauen schienen Vasili anzubeten und taten es wohl auch wirklich — jedenfalls so lange, bis sie diesen unausstehlichen, eitlen Fatzke kennenlernten.
Später am Abend war es dann genau dasselbe und sogar noch schlimmer, was Vasili anging, weil einige Frauen es geschafft hatten, sich eine Vorstellung durch den Kapitän zu ergaunern. Der arme Mann war dermaßen in Bedrängnis, dass Tanya es nicht einmal in Erwägung zog, ihn mit der Wahrheit über sich selbst zu behelligen, obwohl sie die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Vielleicht hatte sie es schon ihrem Schweigen gegenüber dem Kapitän zu verdanken, dass Stefan sie ohne seine Begleitung gehen ließ, als sie vor dem ersten Gang gestand, ein gewisses Örtchen aufsuchen zu müssen. Sie bemerkte jedoch, dass er Serge zunickte, was ohne Zweifel hieß, dass er ihr in angemessener Entfernung folgen sollte. Wenn Stefan gewusst hätte, dass sie schwimmen konnte, hätte er ihr sicher nicht einmal das erlaubt.
Und Serges unauffällige Gegenwart an Deck brachte ihren Plan jedenfalls nicht in Gefahr, da er ihr nicht nahe genug auf den Fersen blieb, um sie aufhalten zu können. Tanya hatte sogar Zeit, sich eine geeignete Stelle auszusuchen, um über Bord zu springen — was ein weiterer Pluspunkt für sie war, denn sie konnte in der Dunkelheit gerade noch erkennen, dass der Dampfer auf eine Flussbiegung zusteuerte. Wenn sie kurz davor springen könnte, wäre die Lorelei weitergefahren und außer Sicht, lange bevor sie selbst das Ufer erreichte. Niemand würde dann sehen, wie sie aus dem Wasser kam, falls man sie in dieser Dunkelheit überhaupt sehen konnte.
Die Behauptung, nicht schwimmen zu können, war die raffinierteste Lüge, die sie sich je ausgedacht hatte, und verdiente ganz bestimmt ein geistiges Schulterklopfen. Wenn sie nur endlich dieses verflixte Örtchen finden könnte!
Kapitel 18
S obald Tanya aus dem Zimmer war, lehnte Lazar sich auf seinem Stuhl zurück und fragte beiläufig: »Meinst du, es ist klug, Stefan, sie allein davonmarschieren zu lassen?«
Stefans Miene verriet keine Spur von Besorgnis. »Serge wird ein Auge auf sie haben.«
Vasili s gebrummte Bemerkung war weniger beiläufig als die seines Freundes: »Er sollte besser eine Hand auf ihr haben — oder noch besser eine Kette.«
Dieser Vorschlag stieß nicht auf ernsthafte Erörterung, aber Lazar fand es dennoch notwendig, Stefan auf eine bestimmte Tatsache hinzuweisen. »Sie würde nicht mehr als eine Sekunde brauchen, um über Bord zu springen.«
»Das wenigstens ist eine Sorge, die wir nicht zu haben brauchen«, antwortete Stefan. Dann fügte er hinzu: »Sie kann nicht schwimmen.«
»Wer hat dir das erzählt?«
Diese zweifelnde Frage schlug eine Bresche in Stefans Zuversicht, und die Schlussfolgerung , die sich aus diesem Zweifel ergab, weckte seine eingelullten
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