Geheimnis um ein Haus im Walde
Stimme klang ungeduldig. „Wir wissen nicht, wo Ern steckt. Er war heute morgen kurze Zeit bei Betti. Seitdem haben wir ihn nicht gesehen.”
Herrn Grimm beschlich ein unbehagliches Gefühl. Er spürte, daß Dicki die Wahrheit sprach. Wo war Ern, wenn die Kinder ihn nicht gesehen hatten? War er wirklich davongelaufen?
Die Kinder starrten ihn schweigend an. „Nichts als Sorgen hat man mit dem Lümmel!” schrie er. „Und ihr seid auch nicht besser. Glaubt nur nicht, daß ich nichts von eurem Geheimnis weiß! Ich weiß mehr von Kinderräubern und Einbrechern als ihr.”
„Das ist ja recht erfreulich”, entgegnete Dicki in dem höflichen Tonfall, der den Polizisten immer zum Rasen brachte. „Dann werden Sie das Geheimnis wohl bald aufklären. Aber wo ist Ern geblieben? Er war heute morgen sehr aufgeregt, als er zu Betti kam. Sie haben ihn ja in der Nacht überfallen, wie ich hörte.”
Einen Augenblick war Herr Grimm sprachlos. „Ich habe ihn überfallen?” stieß er schließlich hervor. „So ein Blödsinn! Ich habe ihn geschlagen, weil er unverschämt war.”
Dicki überlegte ein wenig. Sollte er Herrn Grimm jetzt gestehen, daß er das Gedicht gemacht hatte? Nein, es war wohl besser, es zuerst Ern zu sagen. Aber wo war Ern? Die Gegenstände auf dem Tisch waren seine „Indizien”; er hatte sie auf dem Mühlenhügel aufgelesen. Aber sie waren nicht vollzählig.
„Haben Sie nicht noch mehr Indizien gefunden, Herr Grimm?” fragte er.
„Es ist nicht meine Sache, durchs Dorf zu gehen und allerlei Krimskrams von der Erde aufzuheben”, knurrte Herr Grimm.
„Wo haben Sie diese Dinge gefunden?” fragte Rolf.
„Das wißt ihr doch ganz genau!” höhnte Herr Grimm.
„Wo ihr sie hingelegt habt natürlich – oder wo Ern sie hingelegt hat. In der Kerzengasse.”
„Was hat Ern dort gemacht?” fragte Betti verwundert.
Es entstand ein Schweigen. Herrn Grimm wurde immer unbehaglicher zumute. War Ern wirklich davongelaufen, weil er, sein Onkel, ihn geschlagen hatte? Das wäre ja furchtbar! Vielleicht hatte er sich zu seiner Mutter geflüchtet. Herr Grimm beschloß, Erkundigungen einzuziehen. Sobald er nach Hause kam, wollte er einen guten Freund anrufen, der in der Nähe von Erns Mutter wohnte.
„Wißt ihr wirklich nicht, wo Ern ist?” fragte er.
„Aber nein!” antwortete Dicki. „Haben wir das nicht schon oft genug gesagt? Ich würde mich nicht wundern, wenn er davongelaufen ist – zur See oder irgendwo anders hin – nach Ihrem grausamen Überfall heute nacht.”
Herr Grimm schwieg. Dickis Vermutung deckte sich ja mit seinen Befürchtungen. Jetzt wünschte er, er hätte Ern nicht geschlagen.
Flipp und Betti atmeten auf, als er verschwand. Sie hatten in großer Angst geschwebt, daß ihre Eltern zurückkehren und den Polizisten noch antreffen könnten.
Dicki ließ Purzel los, den er an der Leine gehalten hatte.
„Das ist ja merkwürdig! Wo ist Ern den ganzen Tag gewesen? Und warum hat er seine wertvollen Indizien auf die Straße geworfen?”
„Vielleicht hat er ein Loch in der Hosentasche”, meinte Flipp.
Dicki schüttelte den Kopf. „Das glaube ich kaum.”
„Vielleicht hat er die Sachen weggeworfen, weil er sie nicht länger mit sich rumschleppen wollte”, meinte Betti.
„Kateridee!” entgegnete Flipp verächtlich.
Dicki stand auf. „Hier stimmt was nicht. Ich werde mal nachsehen, ob ich die übrigen Indizien auch noch finde. Erns Verschwinden macht mir Sorge.”
Er ging zur Kerzengasse und leuchtete mit seiner Taschenlampe vor sich her. Anfangs fand er nichts, aber als die Gasse in den Weg nach Ludwigslust einbog, entdeckte er drei weitere Indizien von Ern. Er blieb stehen und grübelte über das Rätsel nach. Wo steckte Ern? War ihm etwas zugestoßen?
Auf Erns Fährte
Auch abends kam Ern nicht nach Hause. Als es neun Uhr geworden war, hatte Herr Grimm sich in eine entsetzliche Aufregung hineingesteigert. Ihn quälten die furchtbarsten Vorstellungen. Vielleicht war Ern überfahren worden. Oder er war zur See gegangen, befand sich bereits auf einem Schiff und litt an Seekrankheit. Oder hatte er sich zu seiner Mutter geflüchtet und erzählte ihr haarsträubende Geschichten über den bösen Onkel? Unruhig rief Herr Grimm seinen Freund an, erfuhr jedoch, daß Ern nicht bei seiner Mutter war. Was sollte er bloß tun? Was würden die Leute sagen, wenn es bekannt wurde, daß sein Neffe fortgelaufen war?
„Ich werde bis elf aufbleiben und auf ihn warten”, dachte der Polizist.
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