Geheimnis um eine Tasse Tee
dunkle Striche um seine Nasenflügel zeichnete, um zu sehen, welchen Ausdruck sein Gesicht dadurch bekam. „Puh, seh’ ich grimmig aus!”
Er wischte die Striche wieder fort und probierte verschiedene Augenbrauen aus. „Nach der Nachmittagsvorstellung gehen wir dann zum Theater und bitten die Schauspieler um Autogramme. Eigentlich könnten wir uns auch die Vorstellung ansehen, dann sehen wir gleich alle auf der Bühne. Erfahren werden wir dadurch zwar kaum etwas, aber es kann auch nichts schaden. Nun, am Montag haben wir schon allerhand vor. Aber was tu’ ich morgen? Ob ich Herrn Grimm ansprechen soll? Ja, ich werde ihn nach dem Weg fragen.”
Er begann verschiedene Stimmen auszuprobieren, zuerst eine tiefe, dröhnende, wie er sie einmal von einem Prediger gehört hatte, dann eine hohe Piepsstimme, die ihm jedoch nicht besonders gefiel, und schließlich eine knarrende, ausländisch klingende Stimme. Ja, die war gut!
„Biete, main Herr, sagen Sie mir Beschaid, wo iest Hoffelfoffel? Wie biete? Ich niecht verstähen. Ich wünsche Weg nach Hoffelfoffel! Hoffelfoffel!”
Plötzlich wurde an Dickis Tür geklopft. „Dietrich!” rief seine Mutter. „Sind die Kinder noch bei dir? Es ist schon spät.”
Dicki machte die Tür auf. „Nein, die Kinder sind nicht hier. Ich bin allein.”
„Wie siehst du denn aus!” rief die Mutter entsetzt, als sie sein Gesicht sah. „Was hast du mit deinen Augenbrauen gemacht? Und unter den Augen bist du ja ganz schwarz!”
„Ach, ich hab’ nur ein bißchen Maskieren geübt.” Dicki wischte die schwarzen Flecken aus dem Gesicht und nahm die angeklebten Augenbrauen ab.
„Du hast aber auch die verrücktesten Einfälle, Dietrich”, sagte die Mutter ein wenig ärgerlich. „Ich wollte dir nur sagen, daß Vater mit dir zusammen einen Radiovortrag anhören möchte – über eine Landschaft in China, die er kennt. Ist auch wirklich niemand in deinem Zimmer? Ich hörte doch Stimmen, als ich heraufkam.”
„Nein, Mutter! Bitte überzeuge dich selbst. Guck unters Bett, hinter die Vorhänge und in den Schrank!”
Das wollte die Mutter natürlich nicht tun. Sie ging zur Treppe, fuhr jedoch mit einem Ruck herum, als eine piepsige Stimme hinter ihr krähte: „Ist sie fort? Kann ich herauskommen?” Das war ja toll! Hatte Dietrich doch jemand in seinem Zimmer versteckt?
Er stand an der Tür und grinste.
„Ach, es war nur eine von deinen Stimmen!” rief sie lachend. „Das hätte ich mir gleich denken können. Wie kommt es nur, daß du immer so gute Zeugnisse nach Haus bringst? Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß dein Betragen im Internat so gut ist.”
„Ich habe eben Verstand, Mutter. Weißt du …”
„Schsch!” machte der Vater, als sie ins Wohnzimmer traten. „Es hat schon begonnen.”
Der Vortrag behandelte einen entlegenen Teil Chinas. Dicki fand ihn furchtbar langweilig und füllte die Zeit damit aus, Pläne zur Aufklärung des Geheimnisses zu spinnen.
Den anderen Spürnasen wurde die Zeit recht lang. Sie konnten den Sonntagnachmittag kaum erwarten. Wie würde Dicki sich maskieren? Was würde er sagen? Würde er ihnen zuzwinkern?
Endlich war es dann soweit. Fünf Minuten vor halb vier marschierten Gina, Rolf, Betti und Flipp durch die Bahnsteigsperre. Eine Minute später traf keuchend Herr Grimm ein. Als er die Kinder sah, warf er ihnen einen finsteren Blick zu.
„Was wollt ihr hier?” fragte er barsch.
„Wahrscheinlich dasselbe wie Sie”, antwortete Rolf.
„Wir wollen jemand abholen.”
„Wir holen Dicki ab”, rief Betti und bekam sofort einen Rippenstoß von Rolf.
„Es schadet nichts, daß ich das gesagt habe”, flüsterte sie ihm zu. „Er wird Dicki ja doch nicht erkennen.”
Der Zug fuhr donnernd ein. Eine Menge Leute stiegen aus. Herr Grimm hatte sich neben die Sperre gestellt und musterte jeden, der seine Fahrkarte abgab. Die vier Kinder guckten eifrig nach Dicki aus.
Betti stieß Flipp an, als eine stattliche Dame mit wehendem Schleier an ihnen vorbeirauschte. Aber Flipp schüttelte den Kopf. Wenn Dicki sich auch fabelhaft zu maskieren verstand, so wie diese Dame hätte er niemals aussehen können.
Nun kam ein Mann mit einem Stock angehumpelt. Den Hut hatte er tief ins Gesicht gezogen; ein alter Regenmantel hing über seinen Schultern. Er hatte einen struppigen Schnurrbart, einen lächerlich kleinen Kinnbart und rötliches Haar. Herr Grimm warf ihm einen scharfen Blick zu. Aber Betti wußte sofort, daß es nicht Dicki war. Der Mann
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