Geheimnis um einen unsichtbaren Dieb
wichtig.”
„Ich werde ihn fragen, ob er mit dir sprechen will.”
Das Schnurrbartgesicht verschwand. Dicki kicherte. Eine Minute später öffnete ihm Herr Grimm ohne Schnurrbart und Hut in gehobener Stimmung die Tür. Er hatte den Jungen mit seiner Maskierung getäuscht. Dieser Dietrich war also doch nicht so gewitzt, wie er geglaubt hatte.
„Guten Abend, Herr Grimm!” sagte Dicki. „Hat Ihr Freund Ihnen bestellt, daß ich Sie sprechen möchte?”
„Ja. Was willst du?”
„Ich habe ganz vergessen, Sie zu fragen, wann und wie Sie die Warnung eigentlich bekommen haben. Das könnte sehr wichtig sein.”
„Ich weiß weder wann noch wie sie gekommen ist”, antwortete Herr Grimm.
„Wann haben Sie sie denn gefunden?”
„Es war nach dem Mittagessen. Ich saß in meinem Büro und studierte eine Akte – eine sehr wichtige Akte. Inzwischen kamen wie gewöhnlich der Milchmann und der Bäcker. Und als ich dann in die Küche ging, um mir eine Tasse Tee zu machen, lag der Zettel oben auf der Milchflasche.”
„Dann muß er also gebracht worden sein, nachdem der Milchmann und der Bäcker da gewesen waren. Haben Sie die beiden kommen hören?”
Herr Grimm hatte nachmittags fest geschlafen und überhaupt nichts gehört. Aber das wollte er nicht gern zugeben.
„Ich weiß es nicht genau. Wenn ich in eine wichtige Arbeit vertieft bin, höre und sehe ich nichts. Aber ich denke, die beiden kamen so gegen drei wie immer.”
„Und dann sind Sie gleich zu uns gegangen, um uns zu warnen?”
„Ja, natürlich. Das war ja meine Pflicht. Du solltest die Warnung nicht in den Wind schlagen, Dietrich. Ich werde auf alle Fälle heute nacht mal vorbeikommen.”
„Das ist ja auch Ihre Pflicht. Nun, ich muß jetzt gehen. Es tut mir leid, daß ich Ihren Freund gestört habe, Herr Grimm.”
„Ach, das macht nichts.” Wieder freute sich Herr Grimm darüber, daß Dicki auf seine Verkleidung hereingefallen war.
„Ihr Freund sieht gut aus”, sagte Dicki.
„Ja, nicht wahr?” stimmte Herr Grimm ihm freudig zu. „Er hat so einen schönen Schnurrbart.”
„Ja. Ohne Schnurrbart würde er lange nicht so gut aussehen, glaube ich.”
Ehe Herr Grimm etwas erwidern konnte, war Dicki fortgegangen. Der Polizist runzelte die Stirn. Dieser Bengel war schlüpfrig wie ein Aal. Was hatte er eigentlich mit seiner Bemerkung gemeint?
Dicki ging tief in Gedanken versunken nach Hause. Er aß allein Abendbrot, denn seine Eltern waren ausgegangen. Enttäuscht bemerkte die Köchin, die ihm ein besonders leckeres Mahl zubereitet hatte, daß er gar nicht zu wissen schien, was er aß.
Nach dem Essen ging er in sein Zimmer und begann einen Kriminalroman zu lesen. Aber das Geheimnis um den unsichtbaren Dieb kam ihm viel spannender vor, und bald legte er das Buch beiseite, um wieder darüber nachzugrübeln.
„Die verschiedenen Indizien, die wir haben, müßten doch eigentlich wie die Teilchen eines Puzzlespiels zusammenpassen und ein Bild des Diebes ergeben”, überlegte er sich. „Wenn ich nur rauskriegte, wie man sie aneinanderfügt! Dann wüßte ich, wie er es fertigbringt, unbemerkt umherzugehen – warum er absichtlich überall seine Spuren hinterläßt – wie er, ohne aufzufallen, mit seiner Beute verschwindet – und vor allem, warum er die Warnung geschickt hat. Das ist so frech und herausfordernd! Er muß sehr sicher sein, daß man ihn nicht entdeckt.”
Sobald Dicki sich ins Bett gelegt hatte, schlief er ein. Aber nach einer Weile wachte er auf und begann von neuem zu grübeln. Im Halbschlaf kreisten seine Gedanken immer wieder um die Indizien und alle Umstände der drei Diebstähle. Die verschiedensten Bilder zogen an seinem inneren Auge vorüber – der Zettel mit der Warnung auf der Milchflasche – der Bäcker mit seinem Korb – große Schuhe – – –
Plötzlich bellte Purzel wie rasend. Sogleich war Dicki hellwach, sprang aus dem Bett und zog seinen Morgenrock an. Sollte die Warnung etwa besagen, daß der Dieb in das Kronsteinsche Haus eindringen wollte? Bisher hatte er geglaubt, daß sie sich auf den Einbruch in seinem Schuppen bezog. Er rannte die Treppe hinunter und ließ Purzel, der aufgeregt an der Haustür kratzte, in den Vorgarten hinaus. Der kleine Hund schoß wie ein Blitz davon und verschwand in der Dunkelheit. Kurz darauf ertönte lautes Rufen. „Weg da! Weg da, du Köter!”
Dicki lachte. Herr Grimm war also pflichtbewußt mitten in der Nacht hergekommen, um zu sehen, ob das Kronsteinsche Haus auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher