Geheimnis Um Mitternacht
wirklich so unwahrscheinlich, dass sie ihm noch einmal mit einem anderen untreu wurde? Und wer sagt, dass sie mit diesem anderen Mann nicht eher zusammen sein wollte als mit meinem Onkel?"
„Oder sie hatte einen Punkt erreicht, an dem sie es nicht mehr bei Lord Cecil ertrug", fügte Irene hinzu. „Es gibt noch eine andere Möglichkeit, an die ich gedacht habe. Es könnte auch sein, dass sie ..."
Gideons Augen wurden schmal. „Selbstmord begangen hat?"
Irene nickte.
„Aber warum dann all diese Geheimnistuerei? Weshalb so eine Geschichte erfinden?"
„Weil die Kirche Selbstmord verurteilt", erklärte Irene.
„Denken Sie nicht, dass die örtliche Kirche sich dem Einfluss meiner Eamilie gebeugt hätte? Außerdem hätte der Untersuchungsrichter ihren Tod gefälligerweise zu einem Unfall erklären können"
„Trotzdem bleibt der Skandal."
„Ja. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das schlimmer gewesen wäre als das, was sie sonst tun mussten. Was ist mit ihrer Leiche?", sagte er direkt. „Wenn sie nicht aus freiem Willen gegangen ist, sondern ermordet wurde oder sich selbst getötet hat, dann mussten sie ihre Leiche doch irgendwo verstecken."
Irene wurde bei dem Gedanken daran leicht übel. „Ja. Es scheint unwahrscheinlich, dass sie so etwas wegen eines Selbstmords getan hätten."
„Und welche andere Möglichkeit gibt es? Dass sie verrückt wurde und für Jahre auf dem Dachboden eingesperrt wurde?"
„Ich weiß. Das ist alles ziemlich ... unglaubwürdig", stimmte sie zu.
„Vielleicht beruht die Annahme meines Onkels doch mehr auf dem, was er glauben möchte, als auf der Wahrheit", sagte Gideon.
„Aber sowohl Nancy als auch Ihr Onkel stimmen darin überein, dass Sie der Mittelpunkt im Leben Ihrer Mutter waren", sagte Irene. „Was auch immer mit ihr geschehen ist, ich kann nicht glauben, dass sie Sie einfach verlassen hätte. Wenigstens das wissen Sie."
„Das stimmt - wenn man Nancys und Onkel Jaspers Darstellung von Lady Selene glauben schenkt. Aber was ist mit Owenby? Seiner Meinung nach war mein Vater gut, sie hingegen ein schlechter Mensch. Vermutlich macht es letztendlich keinen Unterschied. Ganz offensichtlich waren beide keine guten Eltern. Eine untreue Ehefrau, die möglicherweise ihr Kind um sein Heim und Erbe betrogen hat, als Mutter. Und ein Vater, den es nicht genug kümmerte, um ernsthaft zu versuchen, seiner! eigenen Sohn wiederzufinden."
„Vielleicht sind beide einfach auch nur Menschen gewesen. Ein wenig fehlgeleitet, ein wenig schwach. Vielleicht war Ihre Mutter nur schuldig, jemanden zu lieben, und hat damit allen anderen geschadet."
„Die Form von Liebe, die die Poeten preisen, ohne Zweifel." Sein Mund verzog sich zynisch. „Das ist wenigstens eine Schwäche, über die ich mir keine Sorgen machen muss."
„Vermutlich nicht", stimmte sie zu und spürte, wie ihre Brust sich vor Enttäuschung zusammenzog. „Wir beide nicht."
Die Kutsche bog in den Weg ein, der nach Radbourne Park führte, und eine Minute später holperten sie über die kleine Brücke. Gideon warf einen Blick zum Haus hinüber, das fast bedrohlich in der Perne aufragte, und seine Miene verdunkelte sich. Plötzlich klopfte er gegen das Dach der Kutsche. Das Gefährt kam zum Stehen.
„Kommen Sie", sagte er impulsiv zu Irene, öffnete die Tür und stieg aus. Er drehte sich um und hielt ihr die Hand hin, tun ihr beim Aussteigen zu helfen. „Ich würde Ihnen gerne etwas zeigen."
Überrascht hob sie die Augenbrauen, griff aber nach seiner Hand und stieg aus. Er ging los, parallel zum Waldesrand, und sie folgte ihm erwartungsvoll.
Sie gingen etwa zwanzig Minuten am Wald entlang und durchquerten dann eine Gruppe von Bäumen, die zwischen ihnen und dem Haus stand. Irene sah, dass sie sich nahe den Ruinen der normannischen Feste befanden, die schon Wache über das Land der Bankes gehalten hatte, lange bevor Ihnen der Earlstitel zuerkannt worden war.
Auf ihrem ersten Spaziergang hier hatte sie den Ort schon gesehen und ihn erkunden wollen, war aber bisher noch nicht dazu gekommen. Sie waren vor ein paar Tagen bei einem Ausflug zu Pferde mit der ganzen Gruppe an den Ruinen vorbeigekommen, und Lady Calandra hätte sich gerne umgesehen. Aber sie hatten nicht angehalten, da Miss Surton mit einem Schaudern erklärte, dass die alten Gemäuer ihr unheimlich seien. Gideon meinte daraufhin prosaisch, dass der Ort einsturzgefährdet sei und daher besser nicht betreten werden sollte.
„Die Ruinen?", sagte Irene nun
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