Geheimnis Um Mitternacht
verließen und sie in den Schutz ihres eigenen Zimmers zurückkehren konnte, hatte sie keine Ruhe gefunden. Sie hatte sich in ihrem Bett hin- und hergewälzt, ihre Gedanken immer noch bei dem schockierenden Kuss auf der Terrasse.
Erst Stunden später war sie eingeschlafen, doch selbst im Schlaf war sie von hitzigen, sinnlichen Träumen gestört worden, die sie mit klopfendem Herzen und schweißnasser Haut erwachen ließen.
Als Konsequenz war sie zu spät zum Frühstück erschienen, fühlte sich, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen, und hatte nur wenig gegessen.
Irene probierte eine weitere winzige Portion Ei und warf einen Blick zu den anderen, die am Tisch saßen. Ihr fiel auf, dass Humphrey und ihre Mutter ebenfalls besorgte Blicke zu Maura hinüberwarfen, und fragte sich erneut, was mit Humphreys Frau los war.
Wie als Antwort auf Irenes Gedanken hob Maura den Kopf in ihre Richtung. „Ich verstehe nicht, warum du gestern so dringend den Ball verlassen wolltest, Irene. Das hat den ganzen Abend verdorben."
Irene zog die Augenbrauen hoch. „Ich hatte Kopfschmerzen. Aber wir sind doch geblieben. Mir ist also nicht ganz klar, wie ich dir den Abend verderben konnte."
„Irene ...", warnte ihr Bruder leise.
Schnell warf Irene einen Blick zu ihm hinüber. Ein heftiger Schmerz durchfuhr sie. Stand ihr Bruder so sehr unter dem Ein-fluss seiner Frau, dass er sie daran hindern würde, ihre Meinung zu sagen?
„Nun, Humphrey, mir scheint es eine berechtigte Frage", bemerkte sie gepresst.
„Das ist es nicht." Er sah unglücklich aus und warf seiner Frau erneut einen Blick zu. „Müssen wir das am Frühstückstisch besprechen?"
Lady Ciaire mischte sich hastig in das Gespräch. „Es war ein wunderschönes Fest, nicht wahr? Ich habe mich selten so gut amüsiert. Du nicht auch, Humphrey?"
„Ja, Mutter, natürlich." Humphrey lächelte liebevoll zu ihr hinüber. „Ich bin froh, dass es dir so viel Freude gemacht hat."
„Es war sehr schön", stimmte Maura zu. „Und ich wollte dich nicht kritisieren, Irene. Ich wünschte nur, du würdest dir etwas mehr Mühe geben. Lady Haughston war so freundlich, mit dir zu sprechen, und dann habe ich dich mit diesem Mann herumgehen gesehen. Wer war das gleich noch mal, Mutter?"
„Lord Radbourne", antwortete Lady Ciaire. „Ja, ich war sehr überrascht, als Maura mich auf ihn hinwies und sagte, dass du mit ihm spazieren gegangen bist. Ich hatte ihn vorher noch nie gesehen, aber Mrs. Shrewsbury hat mir gesagt, dass er der Ban-kes-Erbe ist, der vor Jahren entführt wurde. So eine traurige Geschichte ..." Sie schüttelte den Kopf und schnalzte mit der Zunge.
„Ja, aber viel wichtiger ist doch, dass man ihm ein Vermögen zuschreibt", warf Maura ein. „Ein sehr begehrter Mann. Und ich wette, du hast nicht die geringste Anstrengung unternommen, dir seine Aufmerksamkeit zu sichern.
Stattdessen kamst du wieder und wolltest sofort gehen."
„Ich bin nicht interessiert an Lord Radbourne", sagte Irene steif.
„Natürlich nicht!", rief Maura. „Weil du nie an irgendeinem Mann interessiert bist! Du bist die unnatürlichste Person überhaupt... Ich kann dich einfach nicht verstehen. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre es dein einziges Ziel, mir das Leben schwer zu machen." Maura funkelte Irene verärgert an, ihr Mund zu einem kindlichen Schmollen verzogen.
Ungläubig starrte Irene ihre Schwägerin an. Selbst für Maura war dieses Verhalten ungewöhnlich. „Maura, das hat überhaupt nichts mit dir zu tun", sagte sie bewusst ruhig.
„Ach, sprich nicht in diesem Ton mit mir",,fuhr Maura sie an und warf ihre Serviette auf den Tisch. „Ich bin kein Kind. Du redest mit mir, als ob ich dumm wäre. Natürlich hat es etwas mit mir zu tun! Du weigerst dich zu heiraten, obwohl jede normale Frau begierig darauf wäre. Aber du willst offensichtlich lieber den Rest deiner Tage hier verbringen, selbst wenn das bedeutet, dass du eine alte Jungfer ohne eigenes Leben bist. Du würdest dich viel lieber in Humphreys Leben einmischen - ihm immer sagen, was er tun und wie er sich verhalten soll..."
Irene starrte Maura an, überrascht von deren Ausbruch.
„Und du erst!", fuhr Maura jetzt an ihren Ehemann gewandt fort. Tränen stiegen ihr in die Augen. „Kein einziger Tag vergeht, ohne dass du deine Schwester fragst, was du tun sollst. ,Was hältst du davon, Irene?'", ahmte sie ihn nach, ihre Stimme voller Bitterkeit. „,Was soll ich Lord X oder Sir Y sagen?' Nach meiner Meinung fragst
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