Geheimnis Um Mitternacht
müsste, dass sie Lady Claire als Schwiegermutter hatte.
Mehr denn je wünschte Irene, dass sie ihre Mutter aus diesem Haus wegbringen könnte. Aber sie war sich der beschränkten Möglichkeiten einer Dame, Geld zu verdienen, sehr bewusst. Als Gouvernante oder Gesellschafterin könnte sie nicht genug verdienen, um für sie beide Räume anzumieten. Teil des Lohns bei solcher Arbeit war zwar die Bereitstellung eines angemessenen Ortes, an dem man lebte, aber man konnte keine weitere Person mitbringen.
Und selbst wenn sie damit, oder einer anderen Arbeit wie Nähen, genug Geld aufbringen könnte, würde ihre Mutter entsetzt sein, das Haus ihres Sohnes zu verlassen und in ein eigenes kleines Apartment zu ziehen. Ihrer Meinung nach würde es ein schlechtes Licht auf Humphrey werfen, und das könnte sie ihrem Sohn niemals antun.
Irenes Gedanken waren recht trostlos, als sie darüber nachdachte, wie sich ihr Leben mit der Ankunft des Babys ändern würde. Maura würde sich sogar noch wichtiger nehmen, wenn sie Lord Wyngate ein Kind geboren hatte, vor allem wenn es tatsächlich ein Sohn und Erbe wäre. Irene konnte sich nur zu gut vorstellen, welch mitleidige Bemerkungen ihre Schwägerin darüber fallen lassen würde, dass Irene niemals die Befriedigung und Freuden des Mutterlebens kennenlernen würde. So wie Mauras ständige Sticheleien über Irenes verschwendete Möglichkeiten und ihre fehlenden Bemühungen, diese einfachste aller Notwendigkeiten einer Frau zu beschaffen: einen Ehemann.
Sie war erleichtert, dass Maura den ganzen Morgen in ihrem Zimmer blieb und auch zum Mittagessen nicht erschien. Aber dieses erfreuliche Zwischenspiel könnte nicht von Dauer sein, und früh am Nachmittag gesellte sich Maura wieder zu Irene und Lady Claire in den Salon, wo Claire schon damit begonnen hatte, eine Decke zu häkeln.
Maura war ein wenig blasser als sonst, und sie spielte die Rolle der Gebrechlichen bis zum Letzten aus. Erst schickte sie ein Dienstmädchen, ihr eine Stola zu holen, dann ihren Fächer, dann einen Hocker, auf den sie ihre Füße legen konnte, und ließ sich von Lady Claire umsorgen, die Stola um die Schultern legen und den Hocker immer wieder anders hinstellen. Doch Irene hielt ihre Zunge im Zaum und zwang ein freundliches Lächeln auf die Lippen, während sie zuhörte, wie Maura über das kommende freudige Ereignis schwatzte, ihre Ausführungen unterbrochen von häufigen Seufzern und Klagen.
Als eines der Dienstmädchen erschien, um einen Besucher anzukündigen, war Irene dankbar für die Ablenkung.
Doch sie war einigermaßen überrascht, als sie hörte, dass Lady Haughston zu Besuch gekommen war. Sie warf ihrer Mutter einen Blick zu und sah auf deren Gesicht einen ähnlich erstaunten Ausdruck. Francesca Haughston war nur selten in ihrem Haus zu Besuch gewesen, und seit Maura bei ihnen lebte, hatten ihre Besuche ganz aufgehört. Irene konnte ihr das nicht verdenken. Sie würde Mauras Gesellschaft auch meiden, wenn ihr das möglich wäre.
Es war seltsam, dass Francesca nun plötzlich wieder erschien, vor allem da sie Irene schon gestern Abend auf dem Ball getroffen hatte. Doch Maura fand es offensichtlich überhaupt nicht ungewöhnlich. Sie strahlte Lady Haughston an, begrüßte sie überschwänglich und fuhr mit ihrem Geplapper fort, ohne Francesca die Gelegenheit zu geben, mehr als hin und wieder ein „Wirklich?" oder ein „Oh, tatsächlich?" einzuwerfen.
Dass Francesca bald unruhig auf ihrem Platz hin und her rutschte, überraschte Irene nicht, und sie vermutete, dass sie ihren Besuch bei der ersten sich bietenden Gelegenheit beenden würde. Und tatsächlich nutzte Francesca bald eine kurze Gesprächspause, um sich bedauernd zu verabschieden.
„Ich will eine Fahrt durch den Park machen", erklärte sie. „Und ich wollte nur kurz hereinschauen, um Lady Irene zu fragen, ob sie mich begleiten möchte."
Mauras Gesichtszüge entglitten, und Irene beeilte sich, etwas zu sagen, bevor Maura ein Grund einfiel, warum sie Irenes Gesellschaft an diesem Nachmittag unmöglich entbehren konnte.
„Aber natürlich, Lady Haughston, das hört sich wundervoll an."
Irene klingelte nach einem Bediensteten, um ihr Hut und Mantel zu bringen, und führte Francesca schnell aus dem Zimmer, um Mauras wenig subtile Andeutungen, dass eine Ausfahrt ohne Zweifel genau das Richtige gegen ihr Unwohlsein wäre, abzuwürgen.
„Aber liebste Schwester", sagte Irene mit einem zuckersüßen Lächeln, das Mauras eigenem glich.
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