Geheimnis Um Mitternacht
und ihr Magen zog sich zusammen. Sie erinnerte sich an die Mahlzeiten, die sie in Gegenwart ihres Vaters verbracht hatte.
Häufig hatte es einen Moment gegeben, an dem ihr plötzlich klar wurde, dass ihr Vater einen bestimmten Punkt während seines Trinkens überschritten hatte und dass wieder einmal Gefahr über dem Tisch schwebte. Sie wurde immer steif vor Angst, weil sie wusste, dass er jeden Moment etwas tun oder sagen konnte, was zu einer Szene führen würde.
„Ich bin natürlich sehr froh, Lady Odelia helfen zu können", antwortete Francesca kühl.
„Ich fürchte, Ihre Fähigkeiten werden auf eine harte Probe gestellt", fuhr Teresa mit einem kleinen künstlichen Kichern fort.
„Lord Radbourne ist sehr lange aus der Gesellschaft fort gewesen.
Irenes Finger krampften sich um den Griff ihres Messers. „Ja, was Lord Radbourne zugestoßen ist, ist in der Tat schrecklich", warf sie ein. „Doch ich bin mir sicher, dass seine Familie überglücklich war zu erfahren, dass er lebte und dass es ihm gut ging."
Teresa wandte ihren Blick zu Irene. „Aber ja, natürlich. Es ist erstaunlich, dass er all diese Jahre an so einem Ort überleben konnte. Man sollte annehmen, dass es fast unmöglich für jemanden unserer Gesellschaftsschicht ist, unter solchen Bedingungen zu bestehen."
„Ich denke, dass es für jedes Kind schwierig ist, kalt und hungrig zu sein, egal, aus welcher Gesellschaftsschicht es stammt", erwiderte Irene.
„Nun, vermutlich." Teresa sah so aus, als würde sie es bezweifeln.
„Ich kann Ihnen versichern, Lady Teresa, dass es für mich und meine Gefährten gleich schwierig war", meinte Gideon und überraschte offensichtlich alle damit, dass er etwas sagte.
„Natürlich war es das. Was redest du für einen Unsinn, Teresa", bemerkte Lady Odelia streng.
Teresa warf der älteren Frau einen giftigen Blick zu, sagte aber in sanftem Ton: „Ich meinte nur, dass so eine Existenz sehr schwierig für jemanden mit Feinsinn sein müsste."
„Ah, aber mein Feinsinn ist besorgniserregend plebejisch, nicht wahr, Mylady?", erwiderte Gideon, wobei er ihrem Titel eine ironische Betonung gab.
Teresa ließ wieder das kleine affektierte Lachen hören, während sie einen Blick um den Tisch warf, der die anderen einlud, in ihr Lachen einzustimmen. „Ich fürchte, Lord Radbourne mag es nicht, auf seine Mängel hingewiesen zu werden. Erinnern Sie sich noch an den ersten Abend, an dem Sie hier waren, Mylord?"
Herausfordernd sah sie ihn an. „Der Blick auf Ihrem Gesicht, als sie all die Gabeln und Löffel neben Ihrem Teller sahen! Ich wusste sofort, dass wir etwas tun mussten. Ich glaube, danach hat Lady Pansy sich sofort hilfesuchend an Lady Odelia gewandt."
Irene legte ihr Besteck mit einem lauten Klappern auf ihren Teller. Wut für Gideon brannte in ihr. Sie konnte es nicht über sich bringen, zu ihm hinzusehen.
Auf der anderen Seite des Tisches sagte Francesca: „Ich empfinde häufig genau dasselbe. Man fragt sich, warum es wirklich nötig ist, für jeden Gang ein anderes Utensil zu haben. Könnte man nicht dieselbe Gabel für Fisch und Fleisch benutzen?"
„Oh, Lady Haughston, Sie scherzen", rief Teresa übertrieben munter. „Ich habe schon gehört, dass Sie einen lebhaften Witz haben." Sie neigte sich zu Francesca und fuhr in vertraulichem Ton fort: „Aber ich fürchte, dass die Gedeckordnung nur der Anfang sein wird." Sie nickte weise. „Es gibt einfach Dinge, die tief verwurzelt sind, Dinge, die man nicht lernen kann, die ein Zeichen wahrhaft guter Herkunft sind."
„Tatsächlich?", erwiderte Francesca in so kaltem Ton, dass jemand Aufmerksameres als Lady Teresa hätte gewarnt sein müssen.
„Oh, ja. Wenn jemandem die Kultiviertheit fehlt ..." Teresa warf einen vielsagenden Blick zu Lord Radbourne hinüber, nur falls irgendeinem am Tisch entgangen sein sollte, wen sie meinte. „Nun, man merkt es, und es ist schwierig, so etwas zu ändern. Wie kann man gute Herkunft lernen?"
Mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck setzte sie sich in ihrem Stuhl zurück. Für einen Moment herrschte Stille am Tisch. Francesca warf Irene einen kurzen Blick zu, der deutlich machte, dass sie sich unbehaglich fühlte.
Irene lächelte. In ihren Augen glühte ein gefährliches Licht, und sie wandte sich an Gideons Stiefmutter. „Lady Teresa", begann sie in einem trügerisch freundlichen Ton. „Ich bin überrascht, dass ich Sie nie zuvor getroffen habe. Eine Frau von Ihrem Geschmack muss doch sicher schon nach
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