Geheimnis Um Mitternacht
setzen", stimmte Francesca zu. „Aber Sie dürfen die Countess nicht unterschätzen. Diese Frau mag Sie nicht, und Sie stehen ihr im Weg."
Irene warf Francesca einen fragenden Blick zu. „Ich stehe ihr im Weg? Wie das?"
„Maisie hat mir den Klatsch aus dem Dienstbotentrakt überbracht. Offensichtlich rechnete Lady Radbourne fest damit, dass Gideon nicht heiraten würde. Solange er ledig ist, ist ihr Sohn Timothy sein Erbe. Wenn Gideon heiratet, ist Timothys Status hingegen gefährdet. Gideon wird vermutlich einen eigenen Sohn haben - er könnte sogar mehrere bekommen. Also würde sie es gerne sehen, dass der Earl unverheiratet bleibt."
„Da ist sie sehr optimistisch", sagte Irene.
Francesca zuckte die Schultern. „Vermutlich hofft sie, dass mögliche Ehefrauen abgeschreckt werden, wenn sie Gideons Unzulänglichkeiten hervorhebt."
„Ich denke, dass der Charakter dieses Mannes schon ganz allein dafür sorgt", bemerkte Irene.
Francesca blickte zu ihr hinüber. „Wenn Sie so über Lord Radbourne denken, warum sind Sie ihm dann zu Hilfe gekommen?"
Die gleiche Frage hatte Irene sich schon selbst gestellt. Sie gab Francesca die einzige Antwort, die ihr bisher eingefallen war. „Ich mochte Lady Radbournes Sticheleien noch weniger."
Francesca nickte nur und sagte nichts weiter.
„Ich habe Ungerechtigkeit in jeder Form schon immer verabscheut", fuhr Irene fort, verschwieg allerdings, dass sie die heiße Flamme des Zorns, die bei den Worten der anderen Frau in ihr aufgelodert war, selbst überrascht hatte.
„Natürlich", murmelte Francesca.
„Mir ist selbstverständlich klar, dass es ganz unnötig war. Lord Radbourne ist eindeutig ein Mann, der selbst für sich einstehen kann und keine Hilfe von mir benötigt."
„Hm. Nun, ich vermute, dass es mit Hilfe nur wenig zu tun hat", antwortete Francesca.
Irene warf ihrer Begleiterin einen misstrauischen Blick zu. „Was meinen Sie damit?"
„Wieso, was soll ich denn meinen?", fragte Francesca und wandte sich Irene mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck zu.
„Ich habe ihn nicht deshalb verteidigt, weil ich irgendwelche Gefühle für den Mann entwickelt habe", stellte Irene entschieden klar.
„Oh, nein. Natürlich nicht", stimmte Francesca sofort zu.
Irene holte Luft, um Francescas Antwort zu kommentieren. Denn sie hatte gespürt, dass sie genau das Gegenteil von dem implizieren sollte, was gesagt worden war. Aber dann wurde ihr bewusst, dass ein Protest ihrerseits sie nur töricht aussehen lassen würde. Also schluckte sie ihre Antwort nicht ohne ein gewisses Maß an Ärger hinunter.
Aber ihre eigenen Überlegungen konnte sie nicht so leicht zum Verstummen bringen. Warum war sie so schnell mit Lord Radbournes Verteidigung zur Hand gewesen? Man sollte denken, dass sie sich eher auf die Seite der Frau schlagen würde, die diesen Mann nicht mochte, denn sie hatte ja selbst beschlossen, dass er ein ungehobelter Flegel war. Sicherlich hatte er in seiner Kindheit viel Schmerz und Leid erfahren müssen und trug zweifelsohne Narben aus dieser Zeit. Der Gedanke, ein Kind diesem Leben ausgesetzt zu wissen, ließ sie erschaudern. Aber diese Tatsache änderte nichts an seinem Charakter. Sie machte ihn nicht besser oder freundlicher oder weniger unausstehlich.
Sicher, Teresa war unhöflich und unsensibel in ihren Bemerkungen gewesen, aber Francesca hatte mit eiskalter Missachtung auf die Frau reagiert, wie es die meisten anderen Damen auch getan hätten. Warum hatte Irene sich berufen gefühlt, in den Kampf mit ihr zu ziehen?
Sie sagte sich, dass es ihre Natur sei. Sie konnte einfach nicht still dabei sitzen, während Lady Teresa so niederträchtige und überhebliche Bemerkungen machte. Dasselbe hätte sie für jeden anderen getan. Sie hoffte doch, dass sie nicht so kleingeistig war, verletzende Bemerkungen zu übersehen, nur weil sie den Adressaten nicht mochte.
Und doch ... Irgendwie konnte sie das, was geschehen war und was sie gesagt hatte, nicht so einfach abtun. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Vorfall zurück, während Lady Odelia der Frau des Vikars im Musikzimmer eine scheinbar endlose Geschichte über eine Frau erzählte, die sie und ihre Schwester vor vierzig Jahren gekannt hatten. Odelia machte eine kurze Pause und drängte Francesca, ein Lied auf dem Klavier zu spielen, aber dann kehrte sie zu ihrer Geschichte zurück und hob ihre Stimme, um sich über Francescas leises Spiel hinweg Gehör zu verschaffen.
Francesca blieb gehorsam am Klavier
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