Geheimnis Um Mitternacht
Gruppe für das Abendessen. Neben ihrer Mutter und den Familienmitgliedern, die Irene schon kennengelernt hatte, gab es noch den Vikar, leicht zu erkennen an seinem weißen Klerikerkragen, eine mollige, mütterliche Dame, von der Irene annahm, dass sie seine Frau war, und einen älteren Mann, groß und dunkelhaarig, der allein am Fenster stand.
Lady Odelia unterbrach ihre Unterhaltung lange genug, um Irene den neuen Gästen vorzustellen. Vikar Longley und seiner Frau, während der andere Gentleman Pansys jüngerer Sohn war, Lord Jasper.
Gideons Onkel, dachte Irene und betrachtete ihn interessiert, als er sich über ihre Hand beugte. Sie konnte die Familienähnlichkeit erkennen. Jasper hatte dasselbe schwarze Haar, wenn auch an den Schläfen von etwas Silber durchzogen, und ähnliche Gesichtszüge. Er war schlanker und weniger muskulös als Gideon, und er hatte eine Aura von Kultiviertheit an sich, die seinem Neffen fehlte, ein undefinierbares Etwas, das ihn als Produkt von Eton und Oxford kennzeichnete, ein Mitglied der Elite.
Er wirkte ein wenig distanziert, und wenn er auch höfliche Konversation mit Irene machte - War ihr Zimmer bequem? Hatte sie die Reise aus London unterhaltsam gefunden? War sie je zuvor in der Gegend gewesen? -, schien Irene doch klar, dass er kein wirkliches Interesse an ihren Antworten hatte. Er sah ein oder zwei Mal zu Gideon hinüber, sprach aber nur wenig mit ihm. Sie fragte sich, was er über den Neffen und seine Rückkehr in die Familie dachte. Ehe Gideon wieder aufgetaucht war, war dieser Mann der nächste Erbe nach dem Sohn der Countess gewesen, und so wie es üblicherweise gehandhabt wurde, hätte er als nächster männlicher Verwandter vermutlich die vormund-schaftliche Verwaltung des Besitzes übernommen, bis der Erbe volljährig wurde. Gideons Rückkehr hatte ihn zu einer weit weniger wichtigen Rolle degradiert. Während Jasper nicht die Abneigung gegenüber Gideon zeigte, die sie bei Teresa bemerkt hatte, drängte sich Irene doch unwillkürlich der Gedanke auf, dass Gideon, genau wie er es gesagt hatte, einen recht kühlen Empfang bei seiner Rückkehr in den Schoß der Familie gehabt haben musste.
Es war wirklich kein Wunder, dass er sich von seiner Familie wenig geschätzt fühlte. Sein Onkel schien sich zumindest unbehaglich in seiner Gegenwart zu fühlen, die Witwe seines Vaters konnte ihn offensichtlich nicht leiden, und es war ganz deutlich, dass ihn alle als eine Art Peinlichkeit betrachteten, die irgendwie durch eine Ehe vertuscht werden musste.
Gegen ihren Willen spürte Irene, dass sie nicht anders konnte, als mit ihm zu fühlen. Auch wenn sie mit Maura ihre Probleme hatte und davor häufig mit ihrem Vater aneinandergeraten war, war sie sich doch wenigstens immer der Liebe ihrer Mutter und ihres Bruders sicher gewesen. Wie musste es sein, nie seine Eltern gekannt zu haben? Und dann rüde inmitten einer wenig begeisterten Familie abgeladen zu werden?
Ihre Gedanken wurden durch Francescas Ankunft unterbrochen. Lady Haughston schloss sich als Letzte der Gruppe an, und kurz nachdem sie den Raum betreten hatte, gingen sie zum Abendessen hinüber.
Die Atmosphäre beim Essen war recht steif, und es wurde nur wenig geredet. Lady Odelia, die normalerweise die Konversation dominierte, schien mehr am Essen denn am Reden interessiert zu sein. Pansy schien unfähig, etwas zu sagen, ohne vorher zu Odelia oder Teresa hinübergesehen zu haben, und weder Lord Radbourne noch sein Onkel trugen viel zur Unterhaltung bei. Selbst Francescas gesellschaftliche Fähigkeiten reichten kaum aus, um das Gespräch am Laufen zu halten, auch wenn sie mithilfe von Lady Claire tapfer darum kämpfte, das Schweigen mit höflichem Geplauder zu unterbrechen.
Schließlich schien Francesca aufzugeben, und bedrückende Stille hing im Raum, nur unterbrochen von den Geräuschen der Bestecke auf den Porzellantellern und dem gelegentlichen Klirren von Glas. Je länger das Schweigen dauerte, desto unangenehmer wurde es, und Irene warf Francesca über den Tisch hinweg einen flehenden Blick zu.
Aber bevor Francesca sich etwas einfallen lassen konnte, sagte Teresa mit einem unechten Lächeln: „Es ist sehr freundlich von Ihnen, zu uns zu kommen, Lady Haughston, und uns mit Lord Radbourne zu helfen."
Teresa warf einen Blick zu Gideon, dessen Gesicht keinerlei Anzeichen zeigte, dass er sie gehört hatte. Er bestätigte nicht einmal ihren Blick, sondern aß unbewegt weiter. Irenes Nerven begannen zu kribbeln,
Weitere Kostenlose Bücher