Geheimnisse der Lebenskraft Chi
Schreibtisch und legt mir eine Hand auf die Schulter.
»Peter mag diese Palmen mehr, als er ahnt«, flüstert er abgründig.
In Los Angeles mache ich einen Abstecher nach Chinatown und finde tatsächlich Ling zhi, durchaus kostspielig. Der in Shanghai ausgebildete Inhaber des asiatischen Kräuterladens erzählt mir, es handle sich um Ganoderma oregonense , eine in Oregon angebaute Art. Ich erkundige mich nach der Heilwirkung des Pilzes, und er sagt, in Japan sei er offiziell als Krebsheilmittel anerkannt.
»Verstehen Sie was von Chi?«, fragt er.
»Ein bisschen.«
»Der Ling zhi baut alle Arten von Chi im Körper auf, insbesondere das Wei-Chi, das den Körper vor Krankheit schützt. Ling zhi wird mit jedem Eindringling fertig.«
Ich nehme den Oregon-Ling-zhi nach Toronto mit und präsentiere ihn mit großer Geste Dr. Chow. »Wie wär’s mit ein bisschen Unsterblichkeitskraut?«, frage ich und wickle meinen Schatz aus. Seine Augen leuchten auf, dann streicht er sich übers Kinn.
»Dieser Ling zhi nicht viel Kraft.«
»Nicht? Woran erkennen Sie das?«, frage ich.
Er springt auf, entschuldigt sich für einen Moment und verlässt das Sprechzimmer. Mir macht es nichts aus, in seinem Sprechzimmer zu warten, ich genieße es jedes Mal. Ich fühle mich hier wie in einem Meer von Chi, ich schwebe und treibe darin. Schritte über mir, Dr. Chow ist oben in seiner Wohnung. Plötzlich habe ich Lust, die enge Treppe nach oben zu steigen, um zu sehen, wie dieser Mann lebt, aber da taucht er auch
schon wieder auf und hält etwas Geheimnisvolles in den Händen. Es hat die Größe einer Bowlingkugel und ist in etliche Lagen Plastik eingewickelt. Er entblättert das Objekt Schicht für Schicht, und ich bekomme große Augen, als der Inhalt schließlich sichtbar wird: Ein gigantischer Pilz, ich habe noch nie etwas auch nur entfernt Ähnliches gesehen.
»Ling zhi«, stellt Dr. Chow nüchtern fest. Ein kompakter schwarzer Pilz, anscheinend völlig von dieser dunklen Farbe durchtränkt. Aber das eigentlich Erschütternde an diesem Pilz ist sein schimmernder Glanz.
»Er leuchtet!«, rufe ich aus.
Dr. Chow nickt wissend. »Dieser Ling zhi hat Power.«
Ich frage, wie er an dieses Kleinod gekommen ist, und sein Gesicht bekommt einen versonnenen Ausdruck. »Meister schenkt mir, bevor ich aus China weg bin«, sagt er. Sein Meister besaß kein Geld, erzählt er weiter, und der Pilz war das wertvollste Geschenk, das er machen konnte. Natürlich sei er mit Geld nicht zu bezahlen. Ich erkundige mich nach den Heilkräften, die man dem Pilz zuschreibt. Kann er wirklich Tote erwecken. Beinahe, sagt er. Ich frage, ob der Meister sein Chi in den Ling zhi gelegt habe oder der Pilz von sich aus so strahle. Beides, sagt er, der Pilz besitzt seine eigene Kraft, aber der Meister hat ihm auch Chi mitgegeben.
»Wer war Ihr Meister, Dr. Chow, wie heißt er?«
»Li Chun-choy«, sagt er, und sein Blick verschleiert sich.
Ich wüsste gern, wo der Meister diesen Pilz herhatte, aber Dr. Chow weiß es nicht, der Meister hat es ihm nie gesagt. Ich weiß durch meine Lektüre, dass eine so urtümliche und seltene Heilpflanze sicher aus einer abgelegenen Bergregion stammt. Die Chinesen besaßen schon immer eine Vorliebe für Heilpflanzen
von schwer zugänglichen Stellen - je schwieriger die Lebensbedingungen einer Pflanze, desto höher ihr Chi-Gehalt.
Dr. Chow hüllt den Ling zhi wieder ein und besinnt sich einen Augenblick. Dann sagt er: »Das gut, dass Sie Chi sehen können. Man muss Chi sehen können, wenn Chi-Gong-Meister werden will. Früher jeder konnte Chi sehen bei Meister, steigt auf wie Dunst. Spätere Generationen können nicht Chi sehen. Spätere Generationen nicht so empfänglich.« Er schüttelt den Kopf über die Verfassung der Menschheit, dann verlässt er das Sprechzimmer, die heilige Fracht wie ein Kronjuwel in beiden Händen haltend.
EIN WUNDERKIND
Technisch gesehen sind Joseph und ich auf der gleichen Stufe, wir üben beide das Chi Gong im Stehen, doch bei ihm ist die Sensibilität nach Jahren der Meditation und der Beschäftigung mit Kampfkünsten in ungewöhnlichem Maße entwickelt. Er kommt aus Los Angeles, um den Sommer über Dr. Chows Schüler zu sein, und versieht dafür zeitweilig den Dienst im Empfang der Praxis. Er ist Anfang zwanzig, sieht aber aus wie sechzehn, und sein leichter Körperbau unterstützt diese Illusion eher noch.
Ich sehe Dr. Chow zu, der sich am einen Ende des Gangs aufstellt und die Luft mit den Händen
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