Geheimnisse der Lebenskraft Chi
die Tür. Wieder auf seinem Platz, spricht er so leise, dass ich meinen Stuhl heranrücke und ihn bitte zu wiederholen.
»Muss persönliche Frage stellen«, sagt er. »Wie oft in der Woche Sex?« Mir bleibt der Verstand stehen.
»Sex, wie viel?«, wiederholt er.
»Ich verstehe nicht, was hat denn das mit Chi Gong zu tun?«
Mit veränderter Stimme, ganz Autorität, erklärt er: »Sage ich Ihnen - Chi Gong besser als Sex.«
»Besser als Sex?«
»Wie ich sage.«
Er steht auf, und diesmal ist das Gespräch tatsächlich beendet. Ich verlasse das Sprechzimmer, durchquere das Wartezimmer, und als ich an der Eingangstür bin, höre ich vom Gang her seine Stimme. »Moment noch!« Beinahe im Trab kommt er mir nach und nickt dabei höflich einer in der Ecke sitzenden Patientin zu. Kaum hörbar flüsternd sagt er: »Eins wichtig: Kein Sex, solange Chi-Gong-Kurs.«
»Kein Sex?«
»Energie muss aufbauen. Sex nimmt Energie weg.« Er klatscht in die Hände, um Energie perdu zu veranschaulichen. Die Patientin in der Ecke hebt ruckartig den Kopf, und Dr. Chow rückt so nahe, dass ich seinen Atem leicht und süß im Gesicht spüre.
»Peter also einverstanden, kein Sex während Kurs?« Er hat einen Stift in der Hand, und für einen Augenblick denke ich, er will mich einen Zölibatsvertrag unterzeichnen lassen. Die Fantasie lässt mich damit sogar zum Rechtsanwalt gehen, damit er ihn prüft.
»Peter einverstanden?«, fragt er noch einmal. Ich überlege, wie sich drei keusche Monate wohl auf die Beziehung auswirken werden, die ich erst vor sechs Wochen eingegangen bin. Das ist keine Vereinbarung, die man eben mal so trifft.
Es dauert eine ganze Weile, dann sage ich: »Peter einverstanden.«
Am Abend erzähle ich meiner Freundin daheim, was für tolle Wirkungen Chi Gong hat. Sie hört mir atemlos zu. Dann erwähne ich die drei enthaltsamen Monate und sehe ein bitteres Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen. Ob ich sie loswerden wolle, fragt sie, und ich antworte wahrheitsgemäß Nein. Die nächsten Stunden versucht sie mich umzustimmen, aber nichts in der Welt könnte mich jetzt noch umstimmen. Schließlich, gegen Mitternacht, erlischt das Leuchten in ihren Augen. Auf dem Weg zur Tür, ohne sich noch einmal umzudrehen, lässt sie mich wissen, dass unsere Beziehung beendet ist.
DIE SINNLICHKEIT DES WISSENS
Die erste Sitzung. Alle Münzen müssen aus den Taschen, die Armbanduhr wird abgelegt. Dr. Chow hat mir erklärt, alles Metall in Körpernähe könne bei der Chi-Gong-Praxis elektrisch aufgeladen werden und absorbiere dann die Energie, die eigentlich im Körper kursieren soll. Ich steige auf die Untersuchungsliege, strecke mich aus und warte.
Dr. Chow wirbelt im Zimmer umher, dann hebt er meine über der Brust gefalteten Arme und legt sie behutsam neben mich. Er tritt einen Schritt zurück und tastet meinen Körper mit den Augen ab, als folgte er unsichtbaren Energielinien.
»Eine Sache noch«, sagt er in tiefem Bariton. »Kein Missbrauch mein Chi.«
»Ihr Chi missbrauchen?«
»Sobald Schüler Chi missbraucht, dann Chi zurückgenommen. Ich muss warnen.«
Ich überlege, wie jemand sein Chi missbrauchen könnte. Bislang kann ich mir nicht einmal vorstellen, wie jemand sein Chi ge brauchen könnte, aber die Umsicht, die Dr. Chow um dieses Chi walten lässt, beeindruckt mich. Er sagt, ich soll die Augen schließen. Ich hatte gehofft, ihn in Aktion sehen zu können, daraus wird nun wohl nichts.
»Wie soll ich atmen?«
»Wie Vogel fliegt und Fisch schwimmt.«
»Und was soll ich sonst noch tun, während ich wie ein Vogel fliege und wie ein Fisch schwimme?«
»Achten und nicht einschlafen«, sagt er.
»Auf was achten?«
»Auf Körper. Und jetzt nicht mehr reden.«
Ein paar Sekunden vergehen, dann höre ich seine Ärmel rascheln. Bewegt er jetzt die Arme so korkenzieherartig, wie ich es im Fernsehen gesehen habe? Ich halte die Augen geschlossen. Als ich sie öffne, ist er weg, das Zimmer dunkel. Mein Augenmerk kehrt zum Körper zurück, zu einem beengten Gefühl in der Brust, das sich unangenehm anfühlt. Habe ich einen Muskel angespannt? Am Brustbein macht sich eine Hitzeempfindung bemerkbar, und jetzt setzt etwas ein, was sich wie ein feines Klopfen mit einem Finger an der kleinen abschüssigen Stelle anfühlt. Nein, nicht mit dem Finger - mit dem Nagel! Es wird stärker und bekommt schließlich etwas Scharfes. Kein Gedanke, bei diesem scharfen rhythmischen Klopfen einzuschlafen. Was soll ich jetzt damit anfangen? Hat
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