GEHEIMNISSE DER NACHT
nicht als solche erkannt zu werden. An ihnen war etwas … Überweltliches. Etwas, das fast bis in das Innerste des Publikums eindrang.
„Alles in Ordnung?“
Sie nickte, versuchte aber gar nicht erst, sich aufzusetzen. Das alles war sehr merkwürdig. Sie hatte erwartet, sich über diesen Augenblick … zu freuen. War es nicht mehr, als sie sich je erträumt hatte? Sollte es nicht alles wiedergutmachen, was in ihrem Leben falsch gelaufen war? Warum fühlte sie sich dann immer noch so leer?
„Jetzt musst du mit zurück nach L.A. kommen“, freute sich David. Er fuhr sich mit einer Hand durch sein schütter werdendes honigblondes Haar, das an den Schläfen bereits ergraute. „Wegen der Partys. Der Empfänge. Der Interviews. Du solltest dich sehen lassen.“
Der Gedanke daran, diesen Ort zu verlassen, brachte ihr Herz zum Rasen. Sie schüttelte schnell den Kopf und kämpfte gegen die Panik an. „Ich kann jetzt hier nicht weg.“
„Aber …“
„Das neue Skript ist noch zu zerbrechlich, David. Ich kann nicht aufhören zu arbeiten, ohne meinen Schwung zu verlieren. Und woanders kann ich auch nicht arbeiten. Also muss ich genau hier bleiben.“
Er schloss die Augen langsam, als versuchte er, ihre Worte zu begreifen.
„Wenn die Verleihung ansteht, bin ich bestimmt fertig. Dann werde ich kommen. Versprochen.“
Zweifelnd starrte David sie an. „Aber du brauchst ein Kleid. Und deine Haare, und … Liebes, andere Leute planen monatelang, um sich für diese eine, besondere Nacht fertig zu machen. Lieber Gott, wenn das Gleiche dem Mädchen passiert wäre, das ich vor fünf Jahren kannte, dann hätte sie darauf bestanden, von mir nach Paris geflogen zu werden, um ein Kleid zu kaufen. Und wahrscheinlich hätte sie drei gekauft, ehe sie entscheidet.“
Sie setzte sich sehr, sehr langsam auf, damit ihr nicht wieder schwindelig wurde, und sah ihm in die Augen. „Das Mädchen bin ich jetzt nicht mehr.“
„Nein“, sagte er. „Das bist du nicht. Du hast dich verändert, Morgan. Und nicht zum Besseren. Du bist die reinste Einsiedlerin geworden.“
Ihre Wut durfte er jetzt nicht bemerken. David hatte recht, und wenn sie ihm die Wahrheit sagen würde, dann müsste sie ihm befehlen, nach Hause zu gehen, damit sie endlich wieder allein sein konnte. Damit sie zurück in die samtene Dunkelheit von Dantes Welt kriechen konnte. Sie hasste es, nicht darin verwickelt zu sein, vermisste ihn wie einen Liebhaber, wenn sie einen Tag verbringen musste, ohne in seinem Leben zu wühlen, ohne es durch ihren eigenen Verstand und ihre eigene Seele zu verarbeiten, damit es auf ihrem Bildschirm Platz fand. Ohne seine Erinnerungen, seine geheimsten Gedanken in Dialoge und Regieanweisungen zu verändern, damit sie auf der Leinwand zum Leben erwachen konnten. Es war fast, als versuchte sie irgendwie, ihn von den Toten auferstehen zu lassen, indem sie seinen Erinnerungen Leben einhauchte.
Nicht genug. Gott, es war nie genug.
„Ich habe dich verärgert.“ David sah sie beunruhigt an.
„Nein. Nein, ich bin nur … überwältigt.“ Sie lächelte zu ihm auf. „Also, spendierst du mir ein Frühstück zur Feier des Tages, oder was?“
Er hob die Augenbrauen und seufzte. „Ja, natürlich. Wie schnell kannst du fertig sein?“
Sie zwang sich dazu, glücklich auszusehen. Die Rolle der aufgeregten Ehrenträgerin zu spielen, die sich darauf freute, die Auszeichnung ihres Lebens zu feiern.
In Wahrheit wollte sie es einfach nur hinter sich bringen und nach Hause zurückkehren. In sein Haus. Um allein zu sein mit dem nicht existierenden Mann, der sie Tag und Nacht heimsuchte. Ihr Herz und ihre Seele. Der ihren Verstand in Beschlag nahm.
Dante.
Der Mann, der Band um Band in der Ichform geschrieben hatte, und der, davon war sie überzeugt, an jedes Wort glaubte, das er notiert hatte.
Er hatte geglaubt, ein Vampir zu sein.
Fast wünschte sie sich, es wäre wahr.
Keith
5. KAPITEL
Dante stand draußen in der Dunkelheit. Der Wind wehte ihm ins Gesicht und durchfuhr mit seinen kalten feuchten Fingern seine Haare. Er brachte Regen. Dante konnte spüren, wie er leise seine Haut berührte. Er schmeckte ihn. Kurz hinter dem Haus schlug das Meer seine Wellen an den Strand. Sein Haus – wenigstens war es das einst gewesen. Warmes gelbes Licht strömte aus seinen Fenstern, als wolle es ihn zu Hause willkommen heißen. Aber er wusste es besser. Jemand befand sich darin. Er konnte die Person auf die gleiche Art und Weise spüren und schmecken wie
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