GEHEIMNISSE DER NACHT
den Regen in der Luft. Eine Frau.
Als er sich entschlossen hatte, hierherzukommen, war er sich nicht einmal sicher gewesen, ob es den Ort überhaupt noch gab. Als er das Haus zum letzten Mal gesehen hatte, war es eigentlich schon dem Verfall anheimgegeben. Davon war jetzt nichts mehr zu sehen. Jemand hatte sehr viel Zeit, Mühe und Geld investiert und es wieder so hergerichtet, wie es vor über einem Jahrhundert ausgesehen hatte. Er erinnerte sich genau an den weißen Weg aus Steinplatten, der sich zur Vordertür hinaufschlängelte. Er sah genauso aus wie früher. An seinem Ende standen Laternen wie Wachposten. Damals waren sie natürlich nicht elektrisch gewesen. Die Lampen im Haus auch nicht. Aber die Fensterläden waren schwarz und die Farbe des Hauses weiß und frisch. Und der Schornstein hatte die gleiche Größe und Form, auch wenn die Steine alle brandneu waren.
Die Tür, bemerkte er, war jetzt anders. Sie war weiß gewesen, mit vier Glasscheiben und Trompetenmuster am oberen Rand. Die neue Tür war viel aufwendiger gestaltet, breiter, und ihr Rahmen war aus gedrechseltem Hartholz. Über ihr streckte sich ein gebogenes Sims in die Breite, auf dem falsche Blumen angebracht waren. Für einen Augenblick traf ihn diese imitierte Echtheit. Es sah lächerlich aus. Der Geruch von Plastik und Seide verspottete die Schönheit der echten Blumen nur.
Künstliche Blumen waren ein Sakrileg.
Eine ovale Buntglasscheibe streckte sich über fast die gesamte Länge der Tür, und ihre Klinke war aus glänzendem Messing. Es sah alles fast wie neu aus. Zwei Autos standen auf der mit weißem Kies bedeckten Auffahrt, beide schnell und ausländischer Herkunft. Hier lebte jetzt Geld. Eine Frau mit Vermögen. Und Jugend. Auch das konnte er in der Luft schmecken.
Da war auch ein Mann. Älter. Robust. Stark. Während die Frau von Schwäche umgeben war. Es lag kein Sex in der Luft, also ging er von einer platonischen Beziehung aus.
Dante war neugierig, das musste er zugeben. Begierig zu sehen, was innen im Haus gemacht worden war. Und es blieb ihm sowieso keine Wahl. Seit er dem vernarbten Mann so knapp entkommen war, hatte er festgestellt, dass jeder seiner Zufluchtsorte aufgedeckt, jeder seiner vertrauten Aufenthaltsorte überwacht werden konnte. Irgendwoher kannte der Mann seine Geheimnisse. Also war Dante hierhin zurückgekommen – an einen Ort, den er seit über einem Jahrhundert nicht betreten hatte –, um Sicherheit und Trost zu finden, bis seine nächsten Schritte geplant waren.
Natürlich war er viel zu lange fortgeblieben. Ein anderer wohnte jetzt hier.
Aber das tat sowieso nichts zur Sache.
Er umrundete das Haus bis zur Rückseite und bis zur Weide, die immer noch dort stand. Sie war so viel größer geworden, dass er zweimal hinsehen musste. Lieber Gott, die Zeit verging wirklich wie im Flug. Er sprang leichtfüßig auf einen der unteren Äste und begann, den Baum zu erklimmen. Die glatte Rinde, die biegsamen Äste, das Flüstern des Windes in den hängenden Blättern, all das war ihm vertraut. Er selbst hatte den Baum vor hundert Jahren an dieser Stelle gepflanzt.
Als er in die Nähe seines alten Schlafzimmers kam, hielt er inne, legte seinen Kopf zur Seite und weitete seine Vampirsinne. Er spürte etwas. Nicht ganz einen Duft in der Brise. Etwas anderes. Etwas … das seine Nerven anspannte wie ein Magnet, der über Metallspäne gehalten wurde.
Was war das?
Indem er den Ast verließ und seine Hände um das kalte Metall der Balkonbrüstung legte, näherte er sich dem Haus. Dann ließ er sich auf den Balkon selbst hinab und schlich sich an die geschlossenen Glastüren heran. Dahinter hingen luftige weiße Vorhänge. Durchsichtig genug, um das Schlafzimmer zu erkennen.
Es schien die Besitzerin des Hauses zu sein, die schlafend in einem Himmelbett lag.
Ihr Haar hatte die Farbe von Zimt, üppig und lang lag es über ihr Kissen gefächert. Ihre Haut war sahnig weiß und so blass, als hätte er bereits von ihr gekostet. Ihre nackten Arme lagen auf einem dünnen weißen Laken. Er spürte, dass sie nicht von mehr bedeckt wurde. Ihr Hals war lang und schlank. Dante befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge und merkte, wie in ihm Begehren erwachte. Normalerweise labte er sich nicht an unschuldigem Blut. Er tötete, das ja. Er konnte auch von kaltem, abgestandenem Blut aus Plastikbeuteln leben, wie einige andere es taten. Aber das war nicht das wirkliche Leben. Also tötete er, aber meistens nur die, die getötet werden
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