Geheimnisse des 'Dritten Reichs'
Bekenntnis zurückgenommen hat. Er wird niemandem gesagt haben, dass er alles gewusst hat, sondern wird immer Gründe gehabt haben, dass er nicht alles gewusst hat.
Pater Athanasius, Speer-Vertrauter
Albert Speer erinnerte sich äußerst selektiv. Auf über 600 Seiten galoppierte er mit der interessierten Leserschar weitläufig und mit großer Ausdauer durch Themengebiete, wenn diese für ihn unverfänglich waren. Entpuppten sich hingegen Wegstrecken als bedrohliche Gefahr für seinen Mythos vom »guten Nazi«, so offenbarte er für den Leser nicht zu identifizierende Erinnerungslücken. In kaum einem kritischen Punkt, der ihn in Nürnberg an den Galgen gebracht hätte, sagte Albert Speer die Wahrheit. Er rang nicht nur mit ihr, wie Gitta Sereny in ihrer Speer-Biografie titelte, sondern beugte, verfälschte und verheimlichte sie, wenn durch sie Gefahr drohte. Dass Albert Speer sich also nicht genötigt sah, die ganze Welt an seinem gut gehüteten Geheimnis einer versteckten, wertvollen Gemäldesammlung teilhaben zu lassen, kann daher nicht überraschen. Albert Speer überließ nichts dem Zufall. Jahre später begründete er seine unterlassenen Nachforschungen zum Verbleib der Bilder in einem Schreiben an seinen Anwalt mit der Angst um seinen Ruf: »Auch fürchtete ich eine öffentliche Resonanz, wenn ich versuchen würde, eine wertvolle Gemäldesammlung in meinen Besitz zurückzuführen. Diese Befürchtung gilt auch noch heute, aber unterdessen ist meine Stellung in der Öffentlichkeit gefestigter.«
In einem anderen Leben wäre er vermutlich ein Mann für PR und Öffentlichkeitsarbeit gewesen. Er war ein hervorragender Selbstdarsteller und hatte somit alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Marketingmanager.
Dan van der Vat, Speer-Biograf
Die Reaktionen auf Speers Standardwerk über sich und seinesgleichen waren überwältigend. Weltweit. Einladung um Einladung für den Starautoren folgte, er reiste von Interview zu Interview, stand nahezu jedem immer und überall Rede und Antwort und folgte der Maxime »Vertiefung durch Verbreitung«. Speers »Ghostwriter« Joachim Fest ließ ihn sogar in einem viel beachteten Fernsehinterview 77 Minuten lang die Kernaussagen seines – oder besser: ihres – Buches vor der Kamera wiederholen. Speer präsentierte sich als junger, ehrgeiziger, verführter Architekt, der dem angehenden Herrscher der Welt verfiel und es nicht schaffte, sich aus dessen unheilvoller Umarmung zu lösen: gleichsam als Faust, der seinen Mephisto gefunden hatte. Selbst Journalisten aus England wirkten seltsam mild und zahm bei ihren Befragungen der Symbolfigur des einstigen Feindes. Albert Speers Autosuggestion wirkte – auch auf Englisch. In der Öffentlichkeit kam er praktisch ungeschoren davon. Nur im Privaten meldete sich immer wieder sein schlechtes Gewissen.
Rudolf Wolters’ Befürchtungen bewahrheiteten sich: Für ihn – und die meisten anderen aus der alten Riege – zeichneten Albert Speers Memoiren kein richtigeres und breiteres Bild von der Vergangenheit, wie er noch nach dem Spiegel -Interview gehofft hatte. Dass Speer seinen treuesten Wegbegleiter, ohne den die Erinnerungen nicht möglich gewesen wären, mit keiner Silbe erwähnte und ihn später gar statt in Coesfeld in Coburg lokalisierte, mag Wolters noch als Schutz seiner Person und Verstrickungen gewertet haben. Doch als sich Speer im Juni 1971 in einem Playboy -Interview, das in Auszügen vorab in der deutschen Illustrierten Quick erschien, von den alten Zeiten vollkommen lossagte und sich als reuiger Geläuterter der Weltöffentlichkeit präsentierte, teilte Rudolf Wolters seinem – schon nicht mehr ganz so guten – Freund am 24. Mai 1971 schriftlich mit, was er von dessen Wandlung hielt: »Was ist nur in Dich gefahren, daß Du nach den Schuldbekenntnissen Deiner Erinnerungen nicht aufhörst, Dich immer wieder und immer radikaler als Verbrecher hinzustellen, für den zwanzig Jahre Gefängnis ›zu wenig‹ waren. … Es ist für mich eine ausgesprochene Belastung, Deine beiden Seiten, den schuldigen Verbrecher (im Volksmund ›Bundesbüßer vom Dienst‹) und den anderen Albert Speer mit seinem Spaß an gelungenen Tricks, mit seiner ehrlich zugegebenen Freude an Geld und Geltung, zu verarbeiten.«
Wolters war über Jahrzehnte hinweg äußerst loyal zu Speer, aber am Ende angewidert und hasserfüllt.
Dan van der Vat, Speer-Biograf
Tief getroffen, hatte Wolters Speer mehr durchschaut, als dieser wahrhaben mochte. Kurz
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