Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
hatte er Adolf Hitler scheinheilig gefragt. Eine rhetorische Frage. Der »treuste aller Paladine« dachte nicht daran zu bleiben. Der zweite Mann im »Dritten Reich« suchte auf dem schnellsten Weg das Weite. Er habe in Süddeutschland »dringendste Aufgaben« zu erledigen.
In der »Alpenfestung«, die nun zur Fluchtburg der Nazi-Größen werden sollte, hatte Göring große Pläne. Bereits im Januar hatte er seine zusammengeraubten Kunstschätze aus seinem Landsitz Carinhall in einen Bergstollen bei Berchtesgaden bringen lassen. Auch politisch glaubte er sich auf der sicheren Seite. Nach einem noch immer gültigen Gesetz vom 29. Juni 1941 war er der designierte Nachfolger des »Führers« in allen Ämtern. Und Göring war entschlossen, sein Erbe schnellstmöglich anzutreten. Am 23. April schickte er einen Funkspruch in die eingeschlossene Reichshauptstadt: »Mein Führer, sind Sie einverstanden, dass ich gemäß Ihres Erlasses die Gesamtführung des Reiches übernehme mit voller Handlungsfreiheit nach innen und außen?«
Hitler tobte ob des Verrats und befahl, den »bisherigen Reichsmarschall sofort unter Brechung jeden Widerstands« zu verhaften. In seinem politischen Testament enthob der »Führer« seinen designierten Nachfolger aller Ämter und stieß ihn aus der Partei aus.
Göring zeigte sich unbeeindruckt. In einem weiteren Anfall von Größenwahn schrieb er an den amerikanischen Oberbefehlshaber Eisenhower und bot ihm »als ranghöchster Offizier der Wehrmacht« an, über die Vermeidung weiteren Blutvergießens zu verhandeln. Die Amerikaner reagierten humorlos. Am 7. Mai geriet Göring mit seiner Frau Emmy und Tochter Edda auf einer Bergstraße bei Radstadt im Salzburger Land in amerikanische Gefangenschaft.
Göring war nicht der einzige Spitzenfunktionär des untergehenden »Dritten Reichs«, der in die Alpen flüchtete. Anders als viele einfache Soldaten, die solche Absetzbewegungen als »Fahnenflucht« mit dem Leben bezahlen mussten, hatten die führenden Nazis freie Fahrt und alle technischen Möglichkeiten, sich in Sicherheit zu bringen – zumindest vorläufig.
Auch die militärischen Führungsstäbe von OKW und OKH verließen Berlin. Das Oberkommando der Wehrmacht bezog sein neues Quartier in Flensburg, die Stäbe des Oberkommandos des Heeres und der Waffen- SS machten sich auf den Weg in die »Kernfestung Alpen«. Ihr Ziel war Hitlers Berghof. Im nahe Berchtesgaden gelegenen Bischofswiesen war schon Jahre zuvor eine Art »Regierungs- und Militärzentrale light« eingerichtet worden. Lammers, Keitel und Jodl nutzten die »Kleine Reichskanzlei«, wenn Hitler im Berghof residierte.
Die Bergwelt ist der rechte Platz, den Tod eines Nationalsozialisten zu sterben.
Reichsmarschall Hermann Göring
In Anif bezog das OKH sein Ausweichquartier. Heute kann man in den dortigen Steinbrüchen den größten Bagger Österreichs besichtigen. Nicht mehr für die Allgemeinheit zugänglich sind die riesigen Felsendome und ausgedehnten Stollenanlagen des Zementwerks im Gutrathberg, wo damals die militärische Führung untergebracht werden sollte. Die Ausbaupläne sahen vor, dass die vorhandenen Stollen durch mehrere Quergänge ergänzt und ausgebaut werden sollten. Das Projekt – Deckname »Lumpfisch« – kam über das Planungsstadium nicht hinaus.
»Totale Fehleinschätzung«: Reichsmarschall Hermann Göring geriet am 7. Mai 1945 in amerikanische Gefangenschaft.
Getty Images, München (MPI/Archive Photos)
Für die Verlagerung der Führungsstäbe in die Alpen sollten sogar Produktionsstätten ihre unterirdischen Standorte räumen. Bislang fertigten im österreichischen Hallein die Eugen-Grill-Werke in einer großen Stollenanlage unter anderem Teile für Flugmotoren. Nun sollte dieser unterirdische Ort zum neuen Hauptquartier für den Reichsführer- SS werden. Im benachbarten Salzbergwerk waren bereits mehrere Wagenladungen geheimer SS -Dokumente eingelagert worden. Die verschiedenen SS -Ämter bezogen Quartier in weit verstreuten Orten: in Dachau, in Traunstein und am Tegernsee. In Bad Wiessee, wo elf Jahre zuvor der Aufstieg der SS begonnen hatte, als man im Röhm-Putsch den internen Rivalen um die Macht ermorden ließ, sollte nun der letzte Vorhang für Hitlers Elitetruppen fallen.
Im Angesicht der bevorstehenden Niederlage suchten alle Akteure in der »Alpenfestung« das Beste zu erreichen – die einen für sich, die gänzlich Unverbesserlichen für eine falsche Loyalität gegenüber einem
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