Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
1939 erfuhr Heß eine offizielle Aufwertung durch Hitler.
Ullstein Bild, Berlin (N.N.)
Der dritte Mann im »Dritten Reich«
War Heß auch nicht mehr im Kreis der engsten Paladine zu finden, so wurde er mit Kriegsbeginn offiziell gleichwohl noch einmal aufgewertet. In seiner Reichstagsrede zum Beginn des »Polenfeldzugs« am 1. September 1939 gab Hitler auch eine Regelung seiner Nachfolge bekannt. Zum ersten »Führer«-Erben bestimmte er Reichsmarschall Hermann Göring, und dann: »Sollte Parteigenosse Göring etwas zustoßen, dann ist sein Nachfolger Parteigenosse Heß!« Der dritte Mann im »Dritten Reich« – dies war keine ernst gemeinte Ehrung, sondern ein Tribut an die Beliebtheit des Stellvertreters in der Bevölkerung. Auch zum Mitglied des »Ministerrats für Reichsverteidigung« wurde Heß von Hitler ernannt – eine Berufung, die später in Nürnberg zu seinen Lasten ausgelegt werden sollte. Tatsächlich war es ein Gremium ohne Bedeutung, und Heß hat niemals eine Sitzung besucht. Von den militärischen Entscheidungsprozessen blieb er ausgeschlossen.
Uns allen war klar, dass Churchill auf keinen Fall Interesse an Friedensverhandlungen hatte.
Sir Frank Roberts, 1941 Diplomat im britischen Außenministerium
Ein Schlüsselerlebnis hatte Heß am 3. September 1939, als er in der Reichskanzlei Zeuge des Eintreffens der britischen Kriegserklärung an Deutschland wurde. Fassungslos herrschte Hitler seinen Außenminister Joachim von Ribbentrop an: »Was nun?« Hatte der doch zuvor immer wieder versichert, die Briten würden für die Unabhängigkeit Polens keinen Krieg riskieren. »Mein ganzes Werk zerfällt nun«, lamentierte Hitler. »Mein Buch ist für nichts geschrieben worden.« Tatsächlich war eine der Kernthesen von Mein Kampf , der Ausgleich mit Großbritannien, damit hinfällig geworden. Der »Führer« in einer solch bedauernswerten Lage – Heß sollte sich das merken.
»Sieg um jeden Preis«: Winston Churchill dachte
nicht daran, sich Hitler zu beugen.
Ullstein Bild, Berlin (Heritage Images/The National Archives)
Zunächst kam die Zeit der schnellen Siege – auch Heß jubelte über die »Blitzkriege«, mit denen die Wehrmacht halb Europa unterwarf: Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich. Doch der Kriegszustand mit Großbritannien blieb ein »Unglück« für den Stellvertreter. Als Hitler Ende Mai 1940 die deutschen Panzer in Nordfrankreich anhalten ließ und die britische Armee bei Dünkirchen übers Meer entkommen konnte, glaubte er an ein bewusstes Signal für ein deutsches Entgegenkommen. Nach dem siegreichen Ende des Frankreichfeldzugs und der triumphalen Rückkehr nach Berlin bot Hitler London dann im Juli 1940 erneut offiziell Frieden an. Es wäre ein Frieden gewesen, der ihm in Europa freie Hand garantieren sollte und dafür das britische Empire intakt gelassen hätte. Doch Winston Churchill, der neue Premierminister, dachte nicht an ein Abkommen mit einem Deutschland, das seine Nachbarn unterjochte und unverhüllten Terror zur Staatsmaxime gemacht hatte. Andere Mitglieder seiner Regierung wären wohl gesprächsbereit gewesen, wie Außenminister Lord Halifax, einst prominenter Vertreter der Appeasement-Politik, die den Aggressor Hitler mit weitreichenden Zugeständnissen zähmen wollte. Doch die starre Haltung Churchills zerschlug das gesamte Kalkül, das seit Mein Kampf Hitlers Eroberungsplänen zugrunde gelegen hatte.
Besonders für Heß war das alles ein tragisches Missverständnis. Dass der Krieg aus der Sicht des Westens längst ein Kampf der Freiheit gegen die Diktatur geworden war, lag jenseits seiner Vorstellungskraft. Eigentlich war doch der sowjetische Bolschewismus der gemeinsame ideologische Gegner – so lautete ein weit verbreitetes Fehlurteil, das noch bis Kriegsende in Deutschland viele falsche Hoffnungen wecken sollte. Dass der Kampf gegen Stalin jedoch nicht aufgenommen werden konnte, bevor nicht auch der Ausgleich mit Großbritannien gesichert war, gehörte zu den Grundüberzeugungen des Rudolf Heß. Das Damoklesschwert eines Zweifrontenkriegs, der das Reich schon einmal in eine äußerst missliche Lage gebracht hatte, schwebte für den Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs stets über Deutschland.
Schon seit Mitte der 1930er-Jahre hatte sich Heß immer wieder bemüht, Kontakte nach Großbritannien zu knüpfen, unter anderem zu als deutschfreundlich eingeschätzten Kreisen in der Royal Air Force und der Konservativen Partei. Wichtigster Mann in
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