Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Fabriken, die in gut geschützten Stollensystemen und alten Salzbergwerken eingerichtet worden seien. Von kompletten Messerschmitt-Flugzeugen war die Rede, von Wunderwaffen und schwerem Gerät – und natürlich von Nazi-Eliteeinheiten, die sich in den Tälern der Alpen aus allen Gebieten des Reichs sammelten und die wild entschlossen seien, bis zum letzten Mann zu kämpfen.
Seit vielen Wochen war uns schon gemeldet worden, dass die Nazis vorhatten, sich im äußersten Falle mit der Elite von SS, Gestapo und anderen Organisationen, die Hitler blind ergeben waren, in die oberbayerischen Berge zurückzuziehen. Dort hofften sie, den Alliierten unbegrenzt lange Widerstand leisten zu können.
Dwight D. Eisenhower in »Kreuzzug in Europa«
Der Verfasser des Berichts war Lieutenant Colonel William W. »Buffalo Bill« Quinn, Chef des Stabes des Heeresnachrichtendienstes (G2) des IV . U . S . Army Corps. Der Offizier des US -Heeresnachrichtendienstes hatte Geheimdienstunterlagen ausgewertet und war überzeugt: Hitler wollte den Krieg in den Alpen fortsetzen, wenn die alliierten Truppen die Reichshauptstadt erobert hätten. Was bislang nur Stückwerk gewesen war, lag nun als offizielle Lageeinschätzung des US -Nachrichtendienstes vor. Und der Inhalt sorgte auch auf der anderen Seite des Atlantiks für Diskussionen.
Bereits seit Herbst 1944 waren in Washington immer wieder beunruhigende Meldungen aus der neutralen Schweiz eingetroffen: Die Deutschen seien dabei, die Alpenregion in eine Festung zu verwandeln. Es entstehe »ein fast uneinnehmbares Redoubt«, kabelte Allen Welsh Dulles über den Atlantik.
Sie werden jeden Fußbreit Boden bis zum letzten Mann verteidigen.
William W. Quinn, G2-Nachrichtendienst, IV. U.S. Army Corps
Dulles war nicht irgendwer. Er leitete in Bern die Außenstelle des Office of Strategic Studies ( OSS ), eines US -Nachrichtendienstes, der direkt dem Kriegsministerium unterstand. Der Mann, der später Direktor der CIA werden sollte, galt als schillernde Figur. Der gewiefte Agent hatte bereits in den 1930er-Jahren ein enges Netz mit glänzenden Kontakten nach Deutschland geknüpft. Er hatte mit Bankiers wie Hjalmar Schacht gute Geschäfte gemacht und galt in der Endphase des Krieges dem General der Waffen- SS Karl Wolff als vertrauenswürdiger Ansprechpartner für Geheimgespräche über die Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Italien.
Der spätere CIA-Chef Allen Welsh Dulles
warnte vor »Hitler’s Alpine Redoubt«.
Corbis Images, Düsseldorf (N.N.)
Während des Krieges pflegte Dulles Kontakte zu emigrierten Hitler-Gegnern wie dem Philosophen Herbert Marcuse oder dem Schriftsteller Klaus Mann. Zudem arbeitete er mit Widerständlern wie Hans Bernd Gisevius und Fritz Kolbe zusammen, von dem er die Pläne des deutschen Jagdflugzeugs Messerschmitt Me-262 erhielt. Solche Erfolge sorgten in der US -Administration dafür, dass die von Dulles gelieferten Informationen als verlässlich galten.
Im Oktober 1943 meldete das OSS Bern nach Washington: »Seit vergangenem Monat werden in den Tälern Tirols Verteidigungsstellungen ausgebaut, die südwärts einer Linie von Imst und Bludenz führen.« Von einer »Alpenfestung« war da noch nicht die Rede. Fast ein Jahr später, am 12. August 1944, hieß es dann: »Bis zu einer Million Mann können nach Nazi-Plänen in den Alpen stationiert werden. Mit ausreichend Material könnten sie über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten Widerstand leisten.«
Eine der zentralen Quellen dieser und ähnlicher »Informationen« war der Schweizer Fotograf Hans Hausamann. Nach anfänglichen Sympathien für den Nationalsozialismus war er zum leidenschaftlichen Nazi-Gegner mutiert. Seinen aktiven Beitrag zur Niederlage des »Dritten Reichs« wollte er mit einem eigenen Pressedienst leisten, mit dem er sich seit Mitte der 1930er-Jahre auf militärische Nachrichtenbeschaffung spezialisierte. Unter dem Tarnnamen »Büro Ha« unterhielt sein zunächst noch privater Geheimdienst ein Netzwerk von V-Männern aus gut informierten NS -Gegnern, Flüchtlingen, Deserteuren und Schweizer Rückkehrern aus Deutschland.
Im Oktober 1944 zeichnete das Büro Ha ein ernstes Bedrohungsszenario: »Seit kurzem kann man in den Fels eingesprengten Fabriken von Flugzeugen, Motoren, Kraftwagen usw. begegnen, die so tief in den Berg gelagert sind, dass ihnen mit Geschossen selbst schwerster Kaliber nicht beizukommen ist.« Die Berichte vermittelten den Eindruck, hier entstehe eine alpine
Weitere Kostenlose Bücher