Geheimnisse des Zweiten Weltkriegs (German Edition)
Handzettel des oberbayerischen »Werwolfs« von Ende April 1945.
Süddeutsche Zeitung Photo, München (Alfred Strobel)
Mitte September 1944 hatte Heinrich Himmler den SS -Obergruppenführer Hans Prützmann zum Generalinspekteur für Spezialabwehr beim Reichsführer- SS ernannt. Er sollte einen »deutschen Volksaufstand« organisieren.
Am Ostersonntag 1945 proklamierte Joseph Goebbels die neue Kampftaktik. Hitlers Lautsprecher ließ über den Sender »Werwolf« erklären, dass gezielte Sabotageakte im Rücken der Front den Angreifern das Leben schwermachen und die eigenen Truppen entlasten sollten. Doch die militärische Schlagkraft des »Werwolfs« blieb gleich null. Ihre größten »Erfolge« erzielten die Kommandos nicht bei der Bekämpfung der US -Truppen, sondern mit Einschüchterung der Landsleute durch die Liquidierung »innerer Feinde« des Nationalsozialismus. Spektakulärste Aktion war die Ermordung des von den Amerikanern eingesetzten Aachener Oberbürgermeisters Franz Oppenhoff am 25. März 1945.
Unter solchen Eindrücken rechneten die Alliierten mit ähnlichen Aktionen im Süden. Tatsächlich gingen auch hier heimtückische Morde auf das Konto von »Werwölfen«. In Penzberg erschoss ein Partisanenkommando im April 16 Männer und Frauen. Sie waren den Aufrufen der »Freiheitsaktion Bayern« gefolgt, die in München die Nazi-Bonzen vertreiben und die Stadt kampflos übergeben wollte.
Die US -Truppen nahmen die Existenz des »Werwolfs« sehr ernst. Sie fielen auf die hohlen Durchhalteparolen und die illusorischen Bekundungen militärischer Stärke der NS -Propaganda herein, die mit dem »Werwolf« »einen vom ganzen Volk getragenen, nimmermüden Kampf aus dem Untergrund führen« wollte. Zu einem Zeitpunkt, als sich die deutsche Front in Auflösung befand, als die Versorgung zusammenbrach und alle nur mit dem eigenen Überleben beschäftigt waren, traute die US -Militärspitze den Deutschen am Ende des verlustreichen Krieges eine Leistung zu, die sogar zu Friedenszeiten eine echte Herausforderung gewesen wäre. Doch Logik und Fakten zählten nicht mehr. Aus Vermutungen wurden Wahrheiten, aus Indizien unumstößliche Belege.
Ein Gerücht bekommt Flügel
Befördert wurden die Befürchtungen in den Militärstäben durch die Berichterstattung in der US -Presse. Auch zu Kriegszeiten galt der journalistische Grundsatz »Bad news are good news«, und so waren die Horrormeldungen ein gefundenes Fressen für Journalisten an der Heimatfront.
Selbst die ehrwürdige New York Times , des Revolverblattjournalismus eher unverdächtig, beteiligte sich an der Hysterie: »In den bayerischen Alpen wurden Vorräte gesammelt und Befestigungsanlagen gebaut. Sie werden die Basen für die Partisanen sein«, hieß es dort am 10. September 1944. Zwei Monate später war bereits die Rede von »geräumigen Tunneln« und einem großflächig verminten Gebiet, das zu einer tödlichen Falle für Angreifer werden konnte, weil es mit einem Knopfdruck »auf dem Schreibtisch in Himmlers unterirdischem Büro« in Hitlers Berghof hochgejagt werden konnte. Am 25. März 1945 waren daraus überdimensionale Befestigungen geworden, »die monatelangen Belagerungen« standhalten könnten.
In den Höhlen des Königssees, in den alten Salzbergwerken der Gegend, in ausgehöhlten Bergen und Talwegen sind nach und nach gewaltige Kriegsmaterialdepots, Munitionskammern und Reparaturwerkstätten angelegt worden. Industriewerke zur Herstellung von Kriegsmaterial wurden dort gebaut. Unterirdische Flugfelder und Hangars stehen bereit, Motorenwerke und Kugellager-Fabriken befinden sich in alten Steinbrüchen.
Zürcher »Weltwoche« vom 2. Februar 1945
Besonders dramatisch klangen die Schilderungen im US -Blatt Daily Worker : Am 15. Dezember 1944 wusste man »aus zuverlässiger Quelle« zu berichten, dass die deutschen Soldaten die Alpenfestung bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würden, »hartnäckiger als in Stalingrad«. Es ist kein Zufall, dass es gerade die Tageszeitung der Kommunistischen Partei der USA war, die die Gefahren der »Alpenfestung« in den düstersten Farben beschwor. Die »zuverlässigen Quellen« kamen aus Moskau, wo man großes Interesse daran hatte, die Aufmerksamkeit der westlichen Verbündeten auf einen anderen Kriegsschauplatz zu lenken.
Im April 1945 konnten die amerikanischen Leser eine Broschüre kaufen, in der auf 27 Seiten alle angeblichen Fakten zum Thema zusammengetragen wurden. Die ebenso verunsicherte wie
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