Geheimnisse einer Sommernacht
getaucht. Ein Schüttelfrost folgte dem anderen. „Ist er gestorben?“
Hunts Miene veränderte sich nicht, dennoch ahnte Annabelle, dass ihre Frage ihn erschreckt hatte. „Nein“, sagte er leise und rückte etwas näher. „Nein, Liebes …“ Er nahm ihre zitternde Hand in die seine und wärmte sie mit sanftem Streicheln. „Hampshire-Vipern produzieren nicht genug Gift, um ein Lebewesen zu töten, das größer als eine Katze oder ein kleiner Hund ist.“ Liebevoll blickte er sie an, während er fortfuhr: „Es wird alles gut. Ein paar Tage lang wird es Ihnen höllisch schlecht gehen, aber danach wird alles überstanden sein.“
„Sie versuchen doch nicht etwa, mich zu beruhigen?“, fragte sie ängstlich.
Hunt beugte sich über sie und strich ihr die Locken aus der schweißnassen Stirn. Seine Hand war riesig, und dennoch war seine Berührung leicht und zärtlich. „Ich lüge nie aus Freundlichkeit“, sagte er leise und lächelte dabei. „Das ist einer meiner vielen Fehler.“
Nachdem sie einen Diener instruiert hatte, war Daisy an Annabelles Bett zurückgeeilt. Als sie Hunt über Annabelle gebeugt sah, hob sie zwar entrüstet die schmalen dunklen Brauen, aber sie enthielt sich jeglichen Kommentars. Sie fragte nur: „Sollten wir nicht die Bisswunde aufschneiden, um das Gift herauszulassen?“
Annabelle blickte warnend zu ihr auf. „Bring ihn nicht auf dumme Gedanken, Daisy“, krächzte sie.
Hunt sah kurz auf. „Nicht bei einem Vipernbiss.“ Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Annabelle und fragte besorgt: „Fällt Ihnen das Atmen schwer?“
Annabelle nickte. Sie bekam kaum Luft, ihre Lungen schienen auf ein Drittel ihrer normalen Größe geschrumpft zu sein. Ihr war, als zöge sich mit jedem Atemzug ein breites Band enger um ihre Brust zusammen, sodass ihre Rippen dem Druck bald nicht mehr standhalten konnten.
Sanft strich Hunt ihr übers Gesicht, mit dem Daumen fuhr er sacht über ihre trockenen Lippen. „Machen Sie mal den Mund auf.“ Und als sie gehorchte, warf er einen prüfenden Blick in ihre Mundhöhle. „Ihre Zunge ist nicht geschwollen, das ist gut. Aber Sie müssen das Korsett ausziehen. Drehen Sie sich um.“
„Ich …, ich werde Annabelle dabei helfen“, protestierte Daisy ungehalten, bevor Annabelle sich überhaupt äußern konnte. „Verlassen Sie bitte das Zimmer.“
„Ich habe schon mal ein weibliches Korsett gesehen“, ließ er sie wissen.
Daisy sah entnervt zur Decke. „Tun Sie nicht so begriffsstutzig, Mr. Hunt. Um Sie mache ich mir keine Sorgen, das ist doch wohl klar. Aber ein Mann zieht einer jungen Dame nicht das Korsett aus, es sei denn, die Umstände wären lebensbedrohend. Und das ist ja nicht der Fall, wie Sie uns gerade erklärt haben.“
Hunt sah sie mitleidig an. „Verdammt, Miss …“
„Fluchen Sie nur“, unterbrach Daisy ihn ruhig. „Meine Schwester kann das zehnmal besser als Sie.“ Sie reckte sich zu ihrer vollen Größe, was natürlich bei einem Meter fünfzig und ein paar strittigen weiteren Zentimetern nicht sehr eindrucksvoll aussah. „Solange Sie im Zimmer sind, behält Miss Peyton ihr Korsett an.“
Hunt blickte zu Annabelle, die plötzlich so sehr nach Luft rang, dass es egal war, wer ihr half, dieses Korsett auszuziehen. ,,Herrje“, schimpfte er, drehte den beiden den Rücken zu und ging zum Fenster. „Beeilen Sie sich. Ich schaue nicht hin.“
Daisy schien zu begreifen, dass dies das einzige Zugeständnis war, zu dem Hunt bereit war. Sofort zog sie Annabelle die Jacke vom steifen Körper. „Ich öffne die Schnüre im Rücken, dann kann ich es unter deinem Kleid wegziehen“, sagte sie leise zu Annabelle. „So bleibst du immer noch anständig angezogen.“
Annabelle rang nach Luft. Sitte und Anstand waren ihr nun völlig egal. Sie hatte nur ein Problem: Sie konnte nicht atmen. Keuchend drehte sie sich auf die Seite und spürte, wie Daisy an ihrem Ballkleid zerrte. Derweil hustete und keuchte Annabelle, röchelte sie verzweifelt nach der kostbaren Luft.
Daisy fluchte leise. „Mr. Hunt, ich fürchte, Sie müssen mir Ihr Messer borgen …, die Korsettschnüre sind verknotet …, uff!“ Der letzte Ausruf kam, als Hunt schon neben ihr stand. Wortlos schob er sie beiseite und machte sich selbst ans Werk. Ein paar wohlüberlegte Schnitte mit dem Messer und schon war das einengende Kleidungsstück um Annabelles Brustkorb gelockert.
Annabelle spürte, wie er ihr das steife Korsett vom Körper zog, sodass dann
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