Geheimnisse einer Sommernacht
und es mit geschickten Händen öffnete. „Miss Bowman, in ein paar Minuten wird dieses Zimmer voller Leute sein. Mrs. Peyton, Lord Westcliff und Ihre realistische Schwester werden hier auftauchen, und schließlich wird auch noch der Arzt kommen. Selbst mir, einem raffinierten, erfahrenen Vergewaltiger, reicht bis dahin die Zeit nicht, eine junge Dame ernsthaft zu belästigen.“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich sofort, als Annabelle bei seiner vorsichtigen Berührung vor Schmerz aufschrie. Schnell rollte er ihren Strumpf herunter. Leicht wie eine Feder bewegten sich seine Finger, aber Annabelles Haut war so empfindlich, dass selbst der geringste Kontakt ein unerträgliches Brennen verursachte. „Halt still, Liebes“, murmelte er, während er ihr den Strumpf von dem zuckenden Bein zog.
Annabelle biss sich auf die Lippen und sah zu, wie sich sein dunkler Schopf über ihren Fuß beugte. Hunt drehte den Fuß vorsichtig und begutachtete ihn von allen Seiten, ohne ihn mehr als notwendig zu berühren. Dann blickte er einen Moment lang still auf den Fuß. „Genau was ich befürchtete“, sagte er schließlich.
Daisy beugte sich nun auch über den Fuß und blickte auf die Stelle am Gelenk, auf die Hunt zeigte. „Was sind denn das für Pünktchen?“
„Vipernbisse“, erklärte Hunt lapidar und rollte sich die Hemdsärmel auf. Ein dunkler Haarflaum bedeckte die sehnigen Unterarme.
Die beiden Mädchen sahen ihn schockiert an. „Ich bin von einer Schlange gebissen worden?“, fragte Annabelle benommen. „Wie denn? Wann? Das kann nicht wahr sein. Das würde ich doch gemerkt haben …, oder nicht?“
Hunt griff in die Innentasche seiner Jacke, die immer noch um Annabeiles Schulter lag, und suchte etwas.
„Manchmal merkt man es nicht, wenn man gebissen wird. Um diese Jahreszeit sind die Wälder von Hampshire voll von Vipern. Wahrscheinlich ist es heute Nachmittag passiert, während Ihres Aufenthalts im Freien.“ Schließlich hatte Hunt gefunden, wonach er suchte. Er brachte ein kleines Klappmesser zum Vorschein und ließ es aufschnappen.
Annabelle sah ihn mit großen Augen erschrocken an. „Was machen Sie da?“
Hunt nahm ihren Strumpf und schnitt ihn ordentlich in zwei Hälften. „Eine Aderpresse.“
„T…Tragen Sie immer so etwas bei sich?“ Irgendwie hatte er sie immer schon an einen Piraten erinnert. Doch nun, da sie ihn in Hemdsärmeln und mit dem Messer in der Hand neben sich stehen sah, verstärkte sich dieses Bild.
Hunt setzte sich zu ihr, schob ihr den Rock über das ausgestreckte Bein bis zum Knie hoch und befestigte das Band oberhalb ihres Fußgelenks. „Ja, meistens“, antwortete er kurz angebunden, während er sich auf seine Arbeit konzentrierte. „Als Sohn eines Metzgers faszinieren mich Messer schon ein Leben lang.“
„Ich hätte nie gedacht …“ Annabelle stöhnte vor Schmerz, als er das Seidenband zuzog.
Hunt sah kurz auf, seine Miene war ungewohnt angespannt. „Es tut mir leid“, sagte er und legte die andere Hälfte Ihres Strumpfs unterhalb der Verletzung vorsichtig um den Fuß. „Das kommt davon, wenn man mit so dünnen Schühchen draußen herumläuft“, versuchte er Annabelle abzulenken, während er die zweite Aderbinde zuzog. „Sie müssen direkt auf die Viper getreten sein, als die Schlange wohlig in der Sonne lag. Und als sie das hübsche, kleine Fußgelenk sah, dachte sie, davon nimmst du dir jetzt mal ein Häppchen.“ Er schwieg. „Ich kann es ihr nicht verdenken“, murmelte er nach einem Moment kaum hörbar.
Annabelles Bein war heiß und pochte. Tränen traten ihr in die Augen. Um die beschämende Tränenflut zurückzuhalten, krallte sie ihre Hände fest in die dicke Brokatdecke. „Und warum schmerzt mein Gelenk erst jetzt so grausam, wenn ich schon viel eher gebissen worden bin?“
„Es kann mehrere. Stunden dauern, bis die Wirkung des Giftes einsetzt“, erklärte ihr Hunt. „Miss Bowman, läuten Sie nach einer Zofe und sagen Sie ihr, sie soll Labkraut bringen. Und zwar sofort.“
„Labkraut? Was ist das denn?“, fragte Daisy argwöhnisch.
„Ein Kraut, das man auf Wiesen, Weiden und an Wegrainen findet. Seit der Gärtner letztes Jahr gebissen worden ist, bewahrt die Haushälterin ein Bündel getrocknetes Labkraut in ihrem Kräuterschrank auf.“
Daisy beeilte sich, ihren Auftrag auszuführen, und ließ die beiden dafür kurze Zeit allein.
„Und der Gärtner?“, fragte Annabelle zähneklappernd. Ihr war, als hätte man sie in Eiswasser
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