Geheimnisse einer Sommernacht
erkennen konnte. Um sich sicherer an ihm festhalten zu können, legte sie den Arm ein wenig weiter um seinen Hals und berührte dabei mit den Fingerspitzen seine leicht gelockten Nackenhaare. Schade, dass mir so übel ist, dachte sie. Wenn ich nicht so frieren würde und mir nicht so schwindelig wäre, könnte es mir wirklich gefallen, so getragen zu werden.
Als sie den schmalen Weg erreichten, der an der Seite des Hauses entlangführte, blieb Hunt kurz stehen, damit Daisy an ihm vorbei und vorangehen konnte. „Zum Dienstboteneingang“, erinnerte er sie.
Daisy nickte. „Ich weiß, wo er ist.“ Sie blickte über die Schulter zurück. Ihr schmales Gesicht sah bekümmert aus.
„Ich habe noch nie gehört, dass einem von einem verstauchten Fußgelenk dermaßen übel wird“, meinte sie.
„Ich vermute, es ist etwas ganz anderes als ein verstauchtes Fußgelenk“, antwortete Hunt.
„Etwa der Weidenrindentee?“, fragte Daisy.
„Nein, Weidenrinde würde keine solche Reaktion hervorrufen. Ich könnte mir vorstellen, was die Ursache ist, aber ich werde mir erst sicher sein, wenn wir in Miss Peytons Zimmer sind.“
„Und wie wollen Sie sich sicher sein?“, fragte Annabelle bang.
„Ich muss mir nur Ihren Fuß anschauen.“ Hunt lächelte zu ihr hinunter. „Das verdiene ich doch, nachdem ich Sie drei Stockwerke hinaufgetragen habe.“
Natürlich machten ihm die Treppen keine Mühe. Nicht einmal sein Atem ging schneller, als sie die dritte Etage erreicht hatten. Annabelle vermutete, dass er sie eine zehnmal weitere Wegstrecke hätte tragen können, ohne ins Schwitzen zu kommen. Und als sie das auch anerkennend äußerte, antwortete er in sachlichem Ton: „Als Junge verbrachte ich die meiste Zeit damit, im Laden meines Vaters Rinder- und Schweinehälften zu transportieren. Da ist es schon erfreulicher, Sie zu tragen.“
„Wie nett von Ihnen“, murmelte Annabelle. Ihr war so elend, dass sie kaum die Augen offen halten konnte.
„Welche Frau träumt nicht davon, einer toten Kuh vorgezogen zu werden.“
Lachen polterte in seiner Brust, während er sich geschickt zur Seite drehte, damit sie nicht mit dem Fuß an den Türrahmen stieß. Daisy öffnete ihnen die Tür und verfolgte ängstlich, wie Hunt ihre Freundin zum Bett trug.
„So“, sagte er, setzte Annabelle auf die Brokatdecke, griff nach einem Kissen und stopfte es ihr in den Rücken.
„Danke“, flüsterte Annabelle und blickte dankbar auf zu den dunklen Augen hinter den dichten, langen Wimpern.
„Ich will Ihren Fuß sehen.“
Ihr Herzschlag schien auszusetzen, so unverschämt fand sie das Ansinnen. „Ich würde lieber warten, bis der Arzt kommt“, wehrte sie sich. Aber auch als sie sich wieder etwas beruhigt hatte, war ihr Puls noch viel zu schnell.
„Ich frage gar nicht erst um Erlaubnis“, sagte Hunt und griff trotz Annabeiles Protest nach dem Rocksaum.
„Mr. Hunt!“ Daisy, die bislang an der Tür gewartet hatte, eilte Annabelle zu Hilfe. „Wagen Sie es ja nicht! Miss Peyton ist krank, und wenn sie nicht sofort Ihre Hände bei sich behalten …“
„Plustern Sie sich nicht so auf. Ich werde Miss Peyton nicht ihre jungfräuliche Tugend nehmen. Jedenfalls jetzt noch nicht“, erwiderte er bissig und richtete seinen Blick wieder auf Annabeiles bleiches Gesicht. „Bewegen Sie sich nicht. Zweifellos sind Ihre Beine ja ausgesprochen hübsch, aber sie reizen mich dennoch nicht zu …“ Er zog scharf die Luft ein, als er den Rocksaum hob und den geschwollenen Fuß sah. „Verdammt! Bislang hatte ich Sie ja für eine äußerst vernünftige Person gehalten. Zum Teufel, weshalb mussten Sie denn unbedingt in diesem Zustand nach unten gehen?“
„Oh Gott, Annabelle. Das sieht ja furchtbar aus“, flüsterte Daisy erschrocken.
„So schlimm war es vorhin noch nicht“, verteidigte Annabelle sich. „Erst in der letzten halben Stunde ist es immer schlimmer geworden und …“ Sie schrie auf, teils vor Schmerz, teils aus Angst, als sie merkte, dass Hunt unter ihren Rock griff. „Was machen Sie denn? Daisy, hilf mir …“
„Ich ziehe Ihnen den Strumpf aus“, erklärte Hunt. „Und ich kann Miss Bowman nur raten, mich nicht daran zu hindern.“
Daisy beobachtete ihn misstrauisch. „Und ich kann Ihnen nur raten, vorsichtig zu sein“, konterte sie. „Ich werde bestimmt nicht ruhig zusehen, wenn Sie meine Freundin belästigen.“
Hunt bedachte sie mit einem spöttischen Blick, während er unter dem Rock Annabelles Strumpfband fand
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