Geheimnisvoll und unwiderstehlich
Aufregungen in ihrem Leben. Jedenfalls jetzt noch nicht. Denn sie war so müde, so unendlich müde.
Leider versprach Hal Langdons Anwesenheit neue Aufregungen.
Er hatte sich den kleinen Bereich inzwischen angeschaut. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich den Vorhang gern auswechseln“, sagte Hal und betrachtete kritisch das Rosenmuster darauf. „Das ist mir einfach zu mädchenhaft. Aber mit dem Bett bin ich sehr zufrieden.“
Mimi sah ihn verwirrt an. Hatte sie ihn richtig verstanden?
„Wie bitte?“
„Ich nehme das Bett so, wie es ist. Normalerweise würde ich meinen Schlafsack und mein Zelt mitbringen, aber das lässt sich zurzeit leider nicht machen.“ Hal wies auf seine Krücken und schüttelte den Kopf. „Waren Sie je schon einmal in der Wohnung meiner Schwester? Kein Aufzug und extrem steile Treppen. Zehn Minuten habe ich heute Morgen gebraucht, bis ich unten war. Nein, ich benötige einen Schlafplatz zu ebener Erde, und das hier ist geradezu ideal.“
Er wollte hier schlafen? Wann hatte sie dazu Ja gesagt?
„Wären Sie nicht besser in einem Hotel aufgehoben oder in einer Pension?“
Hal zögerte einen Moment mit der Antwort. Aber er wusste, dass er Mimi eine Erklärung schuldig war.
„Wenn Sie’s genau wissen wollen, so habe ich die letzten fünf Monate abwechselnd im Krankenhaus und in einem Rollstuhl verbracht. Jedenfalls war ich immer in Räumen eingesperrt – ich war ein Gefangener in meiner eigenen Wohnung. Vorher ist mir nie aufgefallen, wie viele Treppen es in meinem Chalet gibt.“ Er wies mit der Hand in Richtung Terrasse, von wo das Licht durch die geöffnete Tür fiel. „Ich liebe meine Schwester, aber ihre Wohnung und ihr Büro sind viel zu eng für meinen Geschmack. Dasselbe gilt für die meisten Hotels in London. Ich brauche hohe Decken und genug Luft zum Atmen. Können Sie das verstehen?“
Mimi lehnte sich mit dem Rücken gegen den Tisch und nickte. „Ja, natürlich verstehe ich das. Aber ich muss Sie warnen – manchmal ist hier wirklich der Teufel los.“
Sein charmantes Lächeln traf sie mit der vollen Wucht eines Scheinwerfers. „Wie Sie vorher so richtig sagten, befinde ich mich ich hier auf fremdem Terrain. Aber ich habe meine Kamera und alles, was ich brauche. Für ein Abenteuer bin ich immer zu haben, das können Sie mir glauben.“
„Hier haben wir ein Prachtstück für tragbare Kunst, das von der Studienleiterin höchstpersönlich kreiert wurde. Die Bezeichnung lautet ‚Jacke aus geklöppelter Spitze und Seidenmoiré‘. Wie würden Sie das Design genau beschreiben, Miss Ryan? Das würde unsere Leser bestimmt sehr interessieren.“
Mimi schenkte dem Modejournalisten einer großen Londoner Tageszeitung, der wenige Minuten nach der Eröffnung der Ausstellung erschienen war, ein strahlendes Lächeln.
„Nun, wie Sie sehen, wurde der Schnitt der Jacke von japanischen Mustern inspiriert. Wir sind auf handgestrickte Designs spezialisiert, daher wollte ich durch die Verbindung von Spitze und Stickerei einen dreidimensionalen Effekt erzielen. Wir haben hier also einen Materialmix – die kontrastierende Farbe der Seidenjacke wird durch die darüberliegende Schicht aus Spitze gebrochen. Das Futter ist aus Seidenmoiré und hat dasselbe Blumenmuster wie die Jacke, nur in Silber. Mehrere Teams haben an diesem Stück gearbeitet, daher ist es ein richtiges Gesamtkunstwerk aus unserem Atelier.“
Kaum hatte Mimi ihren Satz beendet, als Hal Langdon durch die Tür kam und geradewegs auf sie zuhumpelte. Wie gebannt blieb er vor der Jacke stehen und betrachtete fasziniert die schimmernden Blau- und Grüntöne.
Nachdem sie Mimis Ausführungen gebannt gelauscht hatten, applaudierten die anwesenden Studentinnen begeistert. Der Fotograf machte die ersten Bilder von der Ausstellung, und Mimi gesellte sich zu Hal.
„Na, gefällt es Ihnen?“, fragte sie unsicher, weil sie seinen verblüfften Gesichtsausdruck nicht recht deuten konnte.
Sie würde sich wohl nie daran gewöhnen, dass andere Leute ein Urteil über ihre Designs abgaben. Auch wenn hier zum größten Teil Arbeiten ihrer Studentinnen gezeigt wurden, basierten sie doch fast alle auf ihren ursprünglichen Entwürfen. Daher hatte sie auch immer Lampenfieber vor jeder Show.
Auch jetzt, als sie auf Hal Langdons Antwort wartete, merkte sie, wie ihr Blutdruck anstieg. Natürlich wusste er nichts über ihren familiären Hintergrund – wusste nicht, wie oft man ihr auf dem College vorgeworfen hatte,
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