Geheimnisvoll und unwiderstehlich
Fiorini-Muster aus früheren Epochen zu kopieren. Ihre Professoren hatten sie bei den Prüfungen immer besonders streng herangenommen und sie daran gemessen, ob sie mehr konnte, als die Ideen ihrer Mutter aus Italien zu imitieren. Manche ihrer Kommilitoninnen hatten sie sogar gebeten, ein Wort bei ihrer Familie für sie einzulegen, damit sie dort arbeiten konnten.
Wenn sie geahnt hätten, wie die Realität aussah!
Mimi hatte härter als alle anderen daran arbeiten müssen, den Rest der Welt von der Originalität ihres Stils zu überzeugen. Und auch jetzt, nach so vielen Jahren, hatte sie immer noch Angst, dass es in den Archiven ihrer Familie ähnliche Designs wie bei ihren Entwürfen geben könnte.
Hal wusste natürlich nichts davon – er hatte keine Ahnung, dass sie mit dem großen italienischen Modehaus verbunden war. Das hieß, sein Urteil würde vollkommen unvoreingenommen sein.
Plötzlich merkte Mimi, wie wichtig ihr seine Meinung war. Hal ließ sich Zeit, er hatte die Arme verschränkt und ging langsam im Kreis um die Jacke herum.
„Na, was sagen Sie dazu?“, fragte sie ungeduldig und auch ein bisschen frustriert. „Vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen, dass man die Jacke am Tag und am Abend tragen kann und dass sie ebenso für schlankere wie auch für fülligere Frauen geschnitten ist.“
„Ja, ja, dazu komme ich gleich, nicht so schnell“, erwiderte er. „Lassen Sie mir bitte noch eine Sekunde Zeit. Außerdem möchte ich gern noch eine Frage stellen, bevor ich Ihnen sage, was ich denke. Ist das für Sie in Ordnung?“
„Bitte“, erwiderte Mimi ergeben.
„Sie haben dem Journalisten erzählt, dass die Jacke durch japanische Entwürfe inspiriert wurde. Waren Sie denn schon einmal in Japan? Oder haben Sie jemals Jacken wie diese gesehen?“
Mimi gab sich Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Natürlich hätte sie liebend gern in Japan studiert, aber das war völlig außer Frage gewesen.
Sie schüttelte den Kopf und entgegnete bedauernd: „Leider nicht. Bisher war ich überhaupt nur einmal im Ausland – mit vierzehn Jahren in Mailand. Meine gesamte Recherche stammt aus Museen, Büchern und dem Internet.“
Hal sah sie ungläubig an. „Eine einzige Reise nach Mailand?“, fragte er verblüfft. „Das ist ja unglaublich!“
Dann straffte sich sein gesamter Körper, und er machte eine kleine angedeutete Verbeugung. „In diesem Fall bin ich doppelt beeindruckt von Ihnen, Miss Ryan. Ich habe nämlich einige Monate in Japan gelebt, und trotzdem hätte ich den Spirit dieser Mode nicht annähernd so gut erfasst wie Sie mit diesem Meisterwerk. Meinen herzlichen Glückwunsch!“
Mimi konnte kaum glauben, was sie da hörte. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Sie merkte entsetzt, dass sie tief errötete. In ihrer Kehle war ein Kloß, sie konnte kaum schlucken.
Er mochte ihre Arbeit. Die Jacke gefiel ihm wirklich. Am liebsten hätte sie ihm einen Lorbeerkranz um den Hals gelegt, so glücklich war sie über sein positives Urteil. Aber wie sollte sie adäquat darauf reagieren?
„Also … vielen Dank für das Kompliment. Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“
„Oh nein, das meine ich ganz ernst“, entgegnete er fest. „Eine Bitte habe ich nur – Sie dürfen meiner Schwester diese Jacke erst zeigen, wenn Sie mehrere Exemplare davon zum Verkauf haben. Ich kenne Poppy – das ist genau die Art von Designerstück, die sie über alles liebt. Sie würde mir nie verzeihen, wenn sie herausfinden würde, dass ich das Teil gesehen und es nicht auf der Stelle für sie erstanden hätte.“
Mimi schüttelte lächelnd den Kopf. „Deswegen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Die Jacke ist nicht zu verkaufen. Sie wurde von den Studentinnen gemeinsam hergestellt. Allein die Klöppelarbeiten haben fast eine Woche gedauert. Aber ich könnte Poppy natürlich ein zweites Exemplar für den Winter schenken. Wie fänden Sie das?“
Hal nickte erfreut, und wieder zog dieses breite Lächeln über sein Gesicht, das sie so sehr in den Bann schlug. Ein paar Sekunden lang sahen sie sich nur an, dann erklang plötzlich Lärm vom Eingang her und riss Mimi aus ihrem Tagtraum.
„Wenn Sie mehr über die Entwürfe erfahren wollen, sind hier die dazugehörigen Skizzen“, erklärte sie und führte Hal zu einer Wand mit Zeichnungen. Auf dem Weg begrüßte sie neue Besucher der Galerie, die sich langsam zu füllen begann.
„Neben allen Skizzen finden Sie hier auch Fotos, die das Entstehen der Objekte
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