Geheimnisvoll und unwiderstehlich
jetzt einzig und allein nur die Show, in der sie endlich aller Welt ihr Talent beweisen konnte. Poppy Langdon hatte ihr eine Chance gegeben, und sie würde alles tun, um das in sie gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.
Auch Hal Langdon würde sie zeigen, dass sie in der Lage war, jede Herausforderung zu meistern. Es gab gar keinen anderen Weg – sie würde ihm vertrauen müssen. Denn sie brauchte ihn, um ihr den Weg in die Modebranche zu ebnen und um ihr Geschäft zu retten.
Außerdem würde sie das Versprechen halten, das sie ihrer Mutter gegeben hatte: zu beweisen, dass sie eine ebenso gute Designerin war wie jedes andere Mitglied der Familie Fiorini. Sehnsüchtig betrachtete sie das Foto ihrer Mutter in dem Silberrahmen – es war das Bild einer unglaublich hübschen Frau mit dunkelbraunen Haaren und einem strahlenden Lächeln. Mimi hob ihr Glas mit Orangensaft und prostete ihr stumm zu.
„Alles Gute zum Geburtstag, Mum“, sagte sie. „Was soll ich heute anziehen? Was denkst du?“
Hal Langdon stützte sich auf seine linke Krücke und strich sich nervös durchs Haar, das immer länger wurde. Vielleicht könnte ihm eine von Poppys Stylistenfreundinnen nach der Show die Haare schneiden.
Wenn die Ladies dann nicht zu erschöpft dazu waren.
Er musste grinsen, als er daran dachte, wen er gerade in der Wohnung seiner Schwester zurückgelassen hatte. Poppy hatte für die Show ein Topteam um sich herum versammelt. Sie wollte sicher sein, dass sie genügend Models für die Präsentation der Kollektion hatten. Zu ihrer Entourage gehörten Lola und Fifi, ihre Mitbewohnerinnen und deren zahlreiche Freundinnen, die anscheinend nichts dagegen hatten, an einem Samstag zu arbeiten.
Aber leider war sein Frühstück dadurch auch von einer Gruppe junger, verwöhnter Frauen unterbrochen worden. Sie hatten nichts Besseres zu tun, als sich über den Fettgehalt von Joghurt zu unterhalten, und konnten es kaum erwarten, eine ausgedehnte Shoppingtour durch London zu machen. Amüsiert hatte Hal sich anhören müssen, dass dies als Vorbereitung für den großen Tag der Gala unbedingt nötig war.
Manche Männer hätten es gewiss sehr genossen, den Tag mit einer Schar junger, gut aussehender Models zu beginnen. Aber Hal kannte all dies bereits zu Genüge, es hatte keinerlei Reiz mehr für ihn. Außerdem hatten ihn Poppys Freundinnen wegen der grauen Haare auf seiner Brust aufgezogen und ihm eine kostenlose Haarentfernung durch Waxing angeboten.
Hal hatte höflich, aber bestimmt abgelehnt. Er wollte ihnen nicht das Vergnügen gönnen, ihn leiden zu sehen.
Aber es waren nicht nur die Frauen, die ihn störten. Poppys Apartment befand sich im zweiten Stock, und leider gab es keinen Aufzug. Nach einer Nacht auf ihrem schmalen Sofa fühlte er sich wie gerädert.
Außerdem gab es noch einen tieferen Grund für sein Unbehagen. Die Wohnung seiner Schwester war voll mit Erinnerungen an seine Zusammenarbeit mit Tom. Und das machte Hal mehr zu schaffen, als er sich hätte träumen lassen.
Tom Harris und Hal Langdon hatten sich als Team einen Namen gemacht. Sie hatten unter den abenteuerlichsten Umständen an den entlegensten Orten der Welt Fotos gemacht. Die Bilder von unzugänglichen Bergtälern und waghalsigen Kletterpartien waren in allen wichtigen Magazinen veröffentlicht worden. Sie hatten zahllose Preise gewonnen und – was noch viel wichtiger war – sie hatten jede Minute genossen.
Sie hatten sich als Meister des Universums gefühlt – furchtlos, unverwüstlich, mit einem Willen, der nicht zu brechen war. Und der Erfolg hatte ihnen recht gegeben.
Daher war auch Poppys Apartment voller Fotos von ihren Reisen. Sie war unglaublich stolz auf ihren großen Bruder und auf alles, was er erreicht hatte.
Wie hätte sie auch wissen können, dass Hal diese Bilder jetzt nur noch an eins erinnerten? Dass er seinen besten Freund verloren hatte und dass es deshalb mit seiner Karriere sehr wahrscheinlich vorbei war. Er machte sich nichts vor – die Ärzte hatten ihm eine eindeutige Diagnose gestellt. Sein Knöchel war zerstört, sein Bein gebrochen. Die Knochen und Sehnen waren schwer beschädigt, und er würde mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder die alte Kraft und Flexibilität zurückerlangen. Nein, seine Tage als Bergsteiger waren endgültig vorüber.
Daher hatte auch jedes Foto für ihn nur eine einzige Botschaft – sie bezeugte sein Scheitern. Er war gescheitert. Er hatte Tom und sich selbst im Stich gelassen.
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