Geheimnisvoll Vertrauter Fremder - Historical Bd 274
die Männer Dickon an Bord des Beiboots trugen, mit dem sie an Land gekommen waren. Allem Anschein nach war er bewusstlos.
Kathryn war so schnell sie vermochte zum Haus ihres Vaters gerannt und hatte atemlos von der Entführung und dem Verrat erzählt. Aber als ein Trupp von Männern an den Strand kam, hatten sie keine Spur von dem unerschrockenen Burschen gefunden, der sich dem brutalen Gegner entgegengestellt hatte. Er war erst fünfzehn gewesen, doch Kathryn wusste, dass er wahrscheinlich als Sklave verkauft worden war, vielleicht um in den Küchen irgendeines Herrschers des Vorderen Orients zu arbeiten. Oder möglicherweise war er, weil er groß und kräftig für sein Alter war, in einer der Galeeren der Angreifer an ein Ruder gekettet worden.
Bittere Tränen hatte sie geweint, denn sie hatte Dickon geliebt. Er war ihr Freund und Seelenverwandter, und obwohl ihre Familien einige Meilen voneinander entfernt lebten, hatten sie sich gut gekannt. Kathryn glaubte, dass es der Wunsch ihrer beiden Väter war, dass sie eines Tages, wenn das neunzehnte Lebensjahr erreicht hatte, heiraten sollten. Jetzt war sie beinahe so alt, und bald würde ihr Vater Vorbereitungen für ihre Hochzeit mit irgendeinem anderen treffen. Aber in ihrem tiefsten Herzen gehörte sie nur Richard Mountfitchet – ihrem geliebten Dickon.
„Dickon …“, flüsterte Kathryn. Ihre Worte wurden vom Wind fortgerissen und von den Schreien der Möwen und dem Tosen der Wellen gegen die felsige Küste Cornwalls erstickt. „Vergib mir. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass so etwas passieren würde. Ich wusste bis zu jenem Tag nicht, dass es derart niederträchtige Männer überhaupt gibt. Ich vermisse dich. Ich liebe dich immer noch. Ich werde dich immer lieben.“
Es war jetzt auf den Tag genau zehn Jahre her, dachte Kathryn, und jedes Jahr zur selben Zeit kam sie an diese Stelle, stets in der Hoffnung, Dickon wiederzusehen. Wenn sie dann den leeren Strand erblickte, betete sie, dass er zu ihr und zu seiner Familie zurückkehren würde. Und doch wusste sie, dass es unmöglich war. Sein Vater wie auch ihr eigener hatten Männer ausgesandt, um auf den Sklavenmärkten in Algier nach ihm zu suchen. Sie hatten Kontakt zu Freunden auf Zypern, in Venedig und Konstantinopel aufgenommen, der Stadt, die die Türken jetzt Istanbul nannten, die in der christlichen Welt aber immer noch unter ihrem alten Namen bekannt war. Es gab ständig Unruhen zwischen den Türken und den Christen; Kriege und religiöse und kulturelle Unstimmigkeiten machten es schwer, im Osmanischen Reich eine Suche durchzuführen. Sultan Selim II. war ständig dabei, die Grenzen seines Reiches zu erweitern, und er hatte verkündet, dass er eines Tages sogar siegreich in Rom stehen würde. Dennoch gab es ein paar Männer, die in der Lage waren, in diesen unruhigen Zeiten zu helfen, und einer von ihnen war Suleiman Bakhar.
Suleiman war mit einer Engländerin verheiratet. Er galt als ein kluger, gebildeter Mann, reiste unermüdlich umher und trieb Handel. Sein Anliegen war es, Verbindungen zu der Welt jenseits des Osmanischen Reiches zu knüpfen. Dabei hoffte er, den Frieden voranzutreiben, auch wenn es unter den Völkern so viel Hass und eine derart lange Geschichte voller Konflikte gab, dass es schien, als wären die Differenzen unüberbrückbar.
Kathryn wusste, dass Suleiman Bakhar sich gerade in England befand. Er hatte versprochen, Erkundigungen für Lord Mountfitchet einzuziehen, aber soweit sie wusste, hatte er noch nichts herausgefunden, was ihnen hätte weiterhelfen können. Sir John Rowlands und Lord Mountfitchet waren nach London gereist, um mit ihm zu sprechen. Da sie dort noch andere Geschäfte zu erledigen hatten, über die Kathryn nichts wusste, passte es ihnen gut, sich zum selben Zeitpunkt mit Suleiman zu treffen. Aber für den heutigen Tag wurde ihre Rückkehr erwartet, und Kathryn spürte einen aufkeimenden Hoffnungsschimmer, als sie auf das schöne alte Herrenhaus zuging, das ihr Heim war. Einst war es befestigt gewesen, um Angriffe vom Meer her abzuwehren, aber unter der Herrschaft von Queen Elizabeth, die auf Frieden setzte, war es einfach nur noch das Zuhause einer Familie und keine Burg mehr. In den letzten Jahren waren viele Umbauten durchgeführt worden, um es komfortabler zu gestalten.
Als sie vor dem Gebäude ankam, sah sie, dass eine leicht sperrige und ausladende Reisekutsche in den Hof eingefahren war, und mit rasendem Herzen rannte sie los.
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