Geheimnisvoll wie der Orient
mittlerweile.
„Dein Vater verhält sich mir gegenüber äußerst zuvorkommend. Ich möchte ihm auf keinen Fall Probleme bereiten. Von mir erfährt niemand etwas. Für alle, die Näheres über mich wissen wollen, bin ich Beas Freundin.“
Die Zusage fiel ihr nicht schwer, hatte doch die außergewöhnliche Gastfreundschaft König Hakims sie tief berührt. Es konnte für ihn nicht einfach sein, die Tochter seiner Exfrau als seinen Gast zu begrüßen.
Nach allem, was sie über das Leben in Zarhat wusste, hatte Tariq eher untertrieben, als er von den Auswirkungen der Scheidung sprach. Und dennoch hatte der König sie mit großer Freundlichkeit in seinem Palast aufgenommen. Ich würde es sogar verstehen, wenn er nichts von mir wissen wollte, dachte sie.
Der Ernst, mit dem sie Tariq versprach, niemandem ihre wahre Identität zu verraten, zauberte ein warmes Lächeln auf dessen Gesicht. „Dafür bin ich dir wirklich dankbar. Du sollst aber auch wissen, dass Khalid und ich stolz gewesen wären, dich heute Abend als unsere Schwester vorzustellen.“
Tränen schimmerten in Mollys Augen, und sie verspürte einen Kloß im Hals. „Wirklich?“
„Wie kannst du daran zweifeln?“, fragte er. Und nach einer kurzen Pause: „Aber du hast recht, schließlich habe ich die letzten vierundzwanzig Jahre nicht mit dir geredet. Ich hätte es verdient, von dir zum Teufel gejagt zu werden.“
Molly musste grinsen, und sie schob sich eine Strähne ihres hüftlangen Haares hinter das Ohr. „Wenn ich mich recht erinnere, habe ich genau das Gleiche getan.“
Die Erinnerung an ihre erste Begegnung zauberte ein reuiges Lächeln auf Tariqs Gesicht.
„Ich wäre heute nicht hier, wenn mich Beatrice nicht nach unserem verunglückten Treffen aufgesucht hätte.“
Das stimmte. Als ihr Halbbruder, der sich nie zuvor bei ihr gemeldet hatte, sie plötzlich sehen wollte, hatte Molly ihn kurzerhand abgewiesen. Wozu brauchte sie einen Bruder? Ihre Mutter hatte unglaublich darunter gelitten, dass ihr Sohn nach ihrer zweiten Heirat jeden Kontakt zu ihr abgebrochen hatte.
Sie waren Fremde, und Molly hatte nicht vor, daran etwas zu ändern. Sie wollte nichts mit ihm zu tun haben.
Warum auch?
Schließlich war sie ihm nichts schuldig. Er hatte den Kontakt abgebrochen. Darüber hinaus hatte er seinen jüngeren Bruder gegen sie aufgebracht. Sie hatte den kleinen Khalid vor dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter öfter gesehen und sehr geliebt.
Erst als Beatrice sie aufsuchte und die Einladung nachdrücklich und von Herzen wiederholte, war Molly bereit gewesen, sie anzunehmen.
Obwohl sie überaus skeptisch in Zarhat ankam, konnte sie schon nach der ersten, etwas befangenen Begegnung feststellen, dass sie Tariq mochte.
„Bist du inzwischen froh, gekommen zu sein?“
Sie setzte sich aufrecht hin und betrachtete das schmale gebräunte Gesicht ihres Halbbruders, das ihr noch immer recht fremd erschien. „Sehr froh“, gab sie freimütig zu.
Tariq lächelte und erhob sich. „Dann belassen wir es dabei. Du bist die Freundin von Beatrice.“
„Dabei bleibt es“, versicherte sie ihm und begleitete ihn zur Tür.
„Tariq!“
Er blieb an der offenen Tür stehen.
„Ich kann dich jetzt besser verstehen. Und ich kann auch nachempfinden, warum du Mum nie besucht hast.“
Das war früher anders gewesen. Als sie klein war, hatte sie nur den Schmerz in den Augen ihrer Mutter gesehen, wenn ihr ältester Sohn, den sie nach ihrer Scheidung in Zarhat zurücklassen musste, seinen kleinen Bruder in den Ferien nicht nach England begleitete.
Molly war damals nicht klar gewesen, dass Tariq tief verletzt war. Hatte seine Mutter doch ihre Freiheit über die Liebe zu ihren Söhnen gestellt.
„Als Dad erfuhr, dass ich zu euch reise, erzählte er mir, Mum habe ihre Schuldgefühle nie überwunden. Sie hat euch verlassen, aber sie wusste auch, dass es euch gut gehen würde und euer Zuhause hier ist.“
„Und ihres war in England.“
Er sagte es ohne die geringste Spur eines Vorwurfs. Trotzdem fühlte sich Molly genötigt, ihre Mutter in Schutz zu nehmen.
„Sie muss sehr unglücklich gewesen sein, sonst hätte sie diese Entscheidung nicht getroffen. Und sie wusste, dass es dir und Khalid an nichts fehlen würde.“
Es fiel Molly nicht leicht, sich in die Situation hineinzuversetzen, in der sich ihre Mutter befunden hatte. „Weißt du, ich glaube, sie wäre sehr glücklich darüber, dass wir uns endlich kennengelernt haben.“
Wortlos ließ sie sichvon Tariq
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