Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
morgen könnte ich doch Zigarrenstummel auf der Straße aufsammeln. Ich habe gehört, wie jemand sagte, das sei eine gute und gewinnträchtige Arbeit.«
»Nein!«, rief Grace. »Auf keinen Fall tust du das. Brunnenkresse zu verkaufen ist eine Sache – und selbst Päckchen für feine Damen zu tragen hat nichts Beschämendes –, aber wir werden nicht wie Landstreicher in der Gosse oder im Morast des Flussufers wühlen. Mama würde das ganz und gar nicht gefallen.«
»Aber Mama ist doch gar nicht da!«, rief Lily und brach, müde und hungrig, wie sie war, in Tränen aus, und Grace wusste selbst nicht, was sie ihr zum Trost hätte entgegnen sollen.
Gesucht werden mehrere Begünstigte von Vermächtnissen, insbesondere Mrs Letitia Parkes und ihre Tochter Lily. Die beiden Damen oder jedwede Personen, die über Kenntnisse hinsichtlich des Verbleibens derselben verfügen, mögen sich bitte zu ihrem eigenen, beträchtlichen Vorteil mit der Kanzlei Binge & Gently in The Strand, London, WC, in Verbindung setzen.
The Mercury
Kapitel 8
Im Baker’s Club in St. James saßen dieselben zwei Männer beisammen und lasen in den Londoner Tageszeitungen. Von Zeit zu Zeit legten sie ihre Zeitung zur Seite, um über die Geschäfte der vergangenen Woche zu sprechen. Einer der beiden trug wieder sein übliches Tweed-Jackett und die gelbe Krawatte, der andere – der mit dem arroganten Gesichtsausdruck – seinen förmlichen Anzug. Der Letztere hatte soeben seine Zigarre ausgedrückt.
»Leider nur eine spärliche Ausbeute an Toten diese Woche«, sagte die Gelbe Krawatte, bei dem es sich um keinen anderen als Mr George Unwin, den bekannten Bestattungsunternehmer, handelte. Er stießeinen sarkastischen Lacher aus, blickte sich dann aber hastig um, aus Angst, jemand könnte ihn gehört haben. »Ich weiß ja, wie das für einen Außenstehenden klingen muss«, schob er nach und hob dazu in gespieltem Protest die Hand. »Aber Geschäft ist nun mal Geschäft!«
»Ganz recht. Und ohne Beerdigungen keine Trauerkleider. Eine gänzlich ungute Situation«, fügte sein Gesprächspartner und Cousin, Mr Sylvester Unwin, hinzu.
»Nun, zu unserem Glück erwischt es jeden früher oder später.«
»Und zu unserem noch größeren Glück gibt es ja bis dahin noch die eine oder andere sekundäre Quelle von Einkünften, nicht wahr?«
»Wo wir gerade beim Thema sind: Wie ich sehe, sind die beiden Täubchen noch nicht ausfindig gemacht worden.« George Unwin tippte mit dem Finger auf die Zeitungsannonce.
»Ich habe meine Angestellten schon darauf angesetzt.«
»Und meine üblichen Schnüffler sind instruiert.« George faltete die Zeitung so zusammen, dass die Suchanzeige obenauf lag. »Ich habe so ein Gefühl in Bezug auf die hier, weißt du.«
»Was denn für ein Gefühl?«
»So ein Gefühl, dass wir Mrs … «– er warf einen erneuten Blick auf die Annonce –» … Mrs Parkes und die liebe kleine Lily bald finden werden.«
»Hätte nichts dagegen, wenn du Recht behieltest, George. Ganz und gar nichts dagegen«, erwiderte Sylvester Unwin.
»Nein, allerdings«, sagte George selbstzufrieden.
Hund vermisst: kleiner Beagle, hört auf den Namen Scout, letzte Woche in Seven Dials entlaufen oder gestohlen. Es wird gebeten, mit lebendigem Hund vorzusprechen bei 7 Beauchamp Palace, London, SW. Stattliche Belohnung!
The Mercury
Kapitel 9
Als Grace auf das Klopfen hin die Tür ihres Zimmers öffnete, stand dort die alte Mrs Beale, zupfte nervös an ihrem Taschentüchlein herum und machte den Eindruck, als ob der nächstbeste Windstoß sie hinwegfegen werde.
»Ich komme, um mich zu verabschieden, meine Liebe«, sagte sie. »Mr Beale und ich werden von hier wegziehen.«
Grace bat sie in ihr kärgliches Zimmer, denn egal, wie tief man auf der sozialen Leiter sank, höfliche Umgangsformen waren immer von Bedeutung. »Es tut mir leid, das zu hören«, sagte sie. »Wo ziehen Sie denn hin?«
»Wir … hm … wir … nun, wir werden in ein Arbeitshaus umziehen.« Das Wort kam der alten Dameso schwer über die Lippen, dass sie sich fast daran verschluckte.
Grace bemühte sich, ihr Entsetzen nicht zu zeigen, und nahm Mrs Beales Hand in die ihre. »Ach, wer wollte es Ihnen verdenken, wenn Sie anderswo Schutz suchen«, sagte sie. »Es scheint ein harter Winter bevorzustehen.«
Mrs Beales Taschentuch wurde noch mehr verknittert. »Wir haben ja versucht, alleine durchzukommen, aber letzte Woche wurde Mr
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