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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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Unwin trug. Sie wusste, dies war ihre letzte Hoffnung. Das Wetter war im Moment recht mild, doch bei Schnee, dickem Nebel und Hagel würden sie auf den Straßen Londons nicht überleben. Sie überlegte, wie sie diese Arbeit wohl Lily erklären sollte, und auch, ob sie – zumal ohne Schuhe – überhaupt respektabel genug aussah, um sich bei Mrs   Unwin in so einer Angelegenheit vorzustellen.
    Derweil saß Lily mit immer noch tränenverschmiertem Gesicht da und zählte die Schiffe auf dem Fluss. Jedes Mal, wenn sie bei zwanzig angelangt war, fing sie wieder von vorne an, denn weiter konnte sie nicht zählen. Schließlich wurde sie es leid und fragte, was sie jetzt anfangen würden.
    »Ich denke gerade an eine Frau, die ich vor einiger Zeit kennengelernt habe«, fing Grace vorsichtig an. »Ihre Familie führt ein Bestattungsunternehmen, und sie meinte damals, ich könnte für sie als Sargbegleiterin arbeiten.«
    »Was ist das?«
    »Jemand, der bei Beerdigungen mitgeht, ganz in Schwarz gehüllt, und traurig dreinblickt.«
    »Kann ich das auch machen?«
    »Ja, vielleicht«, sagte Grace. Das konnte doch nicht so schwer sein, einfach herumzustehen und traurig dreinzuschauen? Das könnte doch bestimmt auch Lily fertigbringen? Sie zog das Kärtchen aus ihrer Tasche. »Wir gehen einfach mal hin und finden es heraus, was meinst du?«
    Das Bestattungsunternehmen befand sich am Ende der Oxford Street an der Ecke Edgeware Road, ungefähr eine halbe Meile vom eindrucksvollen Marble Arch entfernt, der vor kurzem von seinem bisherigen Platz vor dem Buckingham Palast hierher versetzt worden war. Hier floss der Verkehr in beiden Richtung um den Triumphbogen herum, ein immenses, wirbelndes Chaos und Getöse: Pferdeomnibusse drängten sich Seite an Seite mit Reitern, leichten Mietdroschken, geschlossenen, vierrädrigen Kutschen, schweren Lastkarren und bedächtig dahinrollenden Privatequipagen, alles begleitet von einem ohrenbetäubenden Gehupe, Geschrei, Gewieher und dem Schnalzen der Pferdepeitschen.
    Ein kleines, taktvolles Schild an dem Gebäude trug die Inschrift:
    Unwin Bestattungsunternehmen
    (Besitzer: George Unwin)
    Diskretion ist unser Motto.
    Es war ein solides, zweistöckiges rotes Backsteingebäude mit einer dekorativen Fassade aus Stuck und kunstvoll behauenem Mauerwerk, das vor gut vierzig Jahren für einen wohlhabenden Industriellen erbaut worden war. Die Unwins hatten es vor etwa zwölf Jahren mit einem Erbe von Mr   Unwins Eltern erworben und von einem Wohnhaus in einen Geschäftsbetrieb umfunktioniert. Als das Bestattungsgeschäft immer besser florierte, hatten sie das große Gelände hinter dem Haus samt Stallungen hinzugekauft und nach und nach eine Tischlerei, eine Steinmetzwerkstatt, eine Sarghalle und verschiedene weitere Werkräume eingerichtet. Danach waren die Dachkammern des Hauses zu behelfsmäßigen Schlafzimmern für jene Frauen hergerichtet worden, die im Betrieb der Unwins arbeiteten und eine Unterkunft benötigten, während der Schmied, die Stalljungen und die Tischlerburschen auf dem Heuboden über den Ställen schliefen.
    Die vorderen zwei Räume des Hauses dienten dem Empfang und der Beratung der Kundschaft: Dort konnten die Angehörigen auswählen, welche Art von Abschied sie ihrem Verstorbenen angedeihen lassen wollten. In einem Zimmer war eine Wand vollständig mit Holzmustern der Särge ausgekleidet, dazu Beispielenfür Namensplaketten aus Messing und Silber, während in dem anderen, größeren Raum (der in einem tröstlichen tiefen Weinrot gehalten war) die intimeren Details besprochen wurden, etwa, welche Art von Matratze, Kissen und Auskleidung der Sarg erhalten sollte. Eine Nische im Raum diente als Büro; dort lagen auf einem schweren Mahagonischreibtisch allerlei Broschüren, aus denen die Kunden Begräbnisgebinde, Marmorstatuen für das Grab, Art und Umfang des Leichenzugs und Pferdegespanns, Sargbegleiter, Federschmuck, Stäbchenträger und ähnliche grundlegende Dinge auswählen konnten. Hinter diesen beiden Empfangsräumen befanden sich verschiedene Arbeitsräume, ein privates Wohnzimmer der Familie und eine Küche. In dem weinroten Zimmer, dem »roten Salon«, wie sie es nannten, loderte winters wie sommers ein wohltuendes Feuer im Kamin, wohl nicht zuletzt zur Beruhigung der Trauernden und um ihnen über den ersten Schock hinsichtlich der Bestattungskosten hinwegzuhelfen.
    Alles Erdenkliche, was die von einem Verlust betroffene Familie benötigen konnte, wurde hier geliefert, mit

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