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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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Prostituierte, in Kleidern, die mehr preisgaben, als sie verhüllten, rotzfrech durch das Haupttor hereinspaziert, nachdem sie mit den Namen einiger höchst respektabler Anwälte um sich geworfen hatten. Wie sie in den Besitz dieser Informationen gekommen waren, war zwar nicht zutage gefördert worden, doch hätten die Sicherheitsvorkehrungen seither eigentlich verstärkt worden sein sollen.
    Grace zeigte die Visitenkarte vor. »Ich suche Mr   James Solent.«
    »Mr   Solent ist nicht zu sprechen«, sagte der grau gekleidete Mann hochmütig. »Jedenfalls nicht für euresgleichen.«
    »Aber er sagte, ich dürfe mich an ihn wenden. Bitte, können Sie mir nicht sagen, wo ich ihn finden kann?«
    »Unter gar keinen Umständen. Haben Sie denn noch nie etwas von der Vertraulichkeit der Justiz gehört?« Er blickte über Graces Schulter hinweg und sah Lily unten auf der Straße stehen. »Verschwindet, alle beide«, sagte er. »Solche wie ihr haben hier nichts zu suchen.«
    Grace lief rot an. »Könnte ich wenigstens –« Sie wollte fragen, ob sie vielleicht eine Nachricht für Mr   Solent hinterlassen dürfe, doch der Mann vor ihr blickte sie mit solcher Verachtung an, dass ihr die Stimme versagte, weil sie sehr wohl wusste, wofür er sie hielt.
    Der Mann scheuchte sie mit einer Handbewegung weg und schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Hinterm Fenster blieb er stehen und schaute drohend hinaus, um sicherzustellen, dass sie seiner Aufforderung auch wirklich Folge leistete.
    Langsam drehte Grace sich um und ging die Stufen hinunter.
    »War das der Mann, der uns helfen sollte?«, fragte Lily.
    »Nein! Nein, natürlich nicht.«
    »Ist er nicht da?«
    Grace schüttelte wortlos den Kopf.
War
er womöglich da gewesen? Sie hatte mehrere Augenpaare hinter den Fenstern hervorspähen sehen. Hatte er sie gesehen und den Mann im grauen Anzug beauftragt, sie abzuweisen? Schämte er sich womöglich ihrer und bereute, dass er ihr seine Hilfe angeboten hatte?
    »Was sollen wir jetzt machen?«
    »Nun   … « Grace rang um ihre Fassung. Jetzt in Tränen auszubrechen, wäre wenig hilfreich, weil dann Lily ebenfalls zu weinen anfangen und so schnell nicht mehr aufhören würde. »Wir versuchen, die Suppenküche zu finden und etwas zu essen zu bekommen, und dann   … dann   … « Dann würde ihr ja vielleicht irgendetwas anderes einfallen. Ihre Finger berührten die zweite Visitenkarte in ihrer Tasche, und Grace musste an Mrs   Unwins Angebot denken, gegen Kost und Logis bei ihr zu arbeiten. Die Frau war ihr unsympathisch gewesen, aber wenn es nicht anders ging, würde sie wohl oder übel bei ihr vorsprechen müssen.
    Nachdem sie die Suppenküche endlich gefunden hatten (sie war weit weg auf der anderen Flussseite im Stadtteil Southwark), stellte sich heraus, dass Grace und Lily keine Suppe zustand, da die Bittsteller einen Brief ihrer Heimatgemeinde vorlegen mussten, aus dem hervorging, weshalb sie in diese Notlage geratenwaren. Inzwischen waren sie allerdings so hungrig, dass Grace bereitwillig einen ihrer kostbaren zwei Pennys opferte, um für jede von ihnen eine heiße Kartoffel zu kaufen. Sie hatten gerade begonnen, ihr Mahl in einer ruhigen Kirchenbank in der Kathedrale von Southwark zu verzehren, als der Küster auftauchte und sie verscheuchte. So setzten sie sich schließlich auf die Steinstufen, die von der London Bridge herunterführten, was ziemlich ungemütlich war, denn obwohl der Arbeitstag längst vorbei war, waren noch viele Leute auf den Straßen unterwegs, auch zahlreiche Händler, die Schinkensandwichs und Bier anboten, so dass sie bei jedem Bissen von irgendjemandem belästigt wurden, dies oder jenes zu kaufen, oder versehentlich angerempelt oder gar getreten wurden. Grace staunte nicht schlecht über die enorme Menschenmenge, die sich hier tummelte. Was sie nicht wusste, war, dass Mr   Charles Dickens eine Mordszene in einem seiner populärsten und berühmtesten Romane just auf diesen Stufen angesiedelt hatte, weshalb dieser Platz nun stets eine bunte Schar von Neugierigen, literarisch Interessierten oder Leuten, die das Gruseln suchten, anzog.
    Inzwischen war es dunkel geworden, und nachdem sie mit ihrem Mahl fertig waren, nahm sich Grace vor, einen Schlafplatz für sie zu finden, und zwar auf der Southwark-Seite des Flusses, wo die Preise niedriger waren. In einem Gasthaus, in dem sie anfragte (das Angebot, für vier Pence ein Zimmer mit anderen zuteilen, musste sie als zu teuer abschlagen), verwies man sie an

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