Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
da Nachrichten von großer Tragweite für sie vorlägen. Es kann nun berichtet werden, dass die besagte junge Dame von einer Londoner Familie gewissen Rangs adoptiert worden war.
Ihre Adoptivfamilie hat darum gebeten, anonym zu bleiben, damit die junge Dame sich in der Gesellschaft zeigen könne, ohne ungebührliches und aufdringliches Interesse auf sich zu ziehen. Die Familie weist darauf hin, dass Bettelbriefe grundsätzlich nicht berücksichtigt oder beantwortet werden.
The Mercury
Kapitel 24
Zur verabredeten Zeit stand Grace an dem Briefkasten am oberen Ende der Edgeware Road und las im Licht einer Straßenlaterne den Zeitungsartikel, den James Solent ihr mitgebracht hatte. Als sie fertig war, blickte sie verzweifelt zu ihm auf.
»Das sind die Unwins, nicht wahr? Die sind es doch, die behaupten, sie hätten Lily adoptiert.«
James nickte. »Ich habe ein paar Erkundigungeneingeholt, von einem Freund, der als Anwaltsgehilfe bei Binge & Gently arbeitet, und ja, ich fürchte, sie sind es.«
»Sie haben das Geld für sich beansprucht. Dann haben sie also gewonnen!«, sagte Grace. Sie hatte natürlich gewusst, dass es zu schön wäre, um wahr zu sein: dass Geschichten, in denen arme Mädchen plötzlich reich wurden, nur in den Märchen vorkamen, die sie Lily früher erzählt hatte.
»Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass sie gewonnen haben«, erwiderte James. »Allerdings sind sie im Moment zweifellos im Vorteil.«
»Aber meine Schwester!«, rief Grace bestürzt aus. »Ich kann es kaum glauben. Weshalb sollte sie bei so etwas mitspielen? Wie haben sie sie nur überreden können, zu sagen, sie wäre von ihnen adoptiert worden?«
»Für Geld?«, schlug James vor. »Oder vielleicht haben sie ihr Juwelen oder sonst irgendeinen Firlefanz versprochen.«
Grace schüttelte sofort den Kopf. »Lily zeigt kein Interesse an solchen Dingen«, sagte sie. »Und sie hängt zu sehr an mir – und ich an ihr –, als dass eine von uns je vorgeben würde, die andere existiere gar nicht.«
»Aber irgendetwas hat sie dazu gebracht, zu lügen.«
»Sie ist nicht mal imstande, eine Lüge einigermaßen glaubwürdig zu erzählen. Selbst eine Vierjährige käme ihr im Nu auf die Schliche!«
»Hmm.« James überlegte eine Weile. Dann sagte er: »Vielleicht haben sie das ja selbst herausgefunden … «
Grace schaute ihn fragend an. Sie verstand nicht, worauf er hinauswollte.
»Vielleicht«, fuhr er fort, »haben sie festgestellt, dass Lily die Geschichte nicht mitspielen würde, und haben jemand anderen an Lilys Stelle auftreten lassen.«
»Du meinst – eine Schauspielerin?«, fragte Grace.
»Eine Schauspielerin, genau. Jemand, der ihre Rolle übernimmt, während Lily selbst aus dem Verkehr gezogen wird.«
»Aber natürlich!«, sagte Grace, und auf einmal war ihr alles klar. »Sie brauchen gar keine Schauspielerin zu engagieren – sie haben ja ihre Tochter!«
»Die Unwins haben eine Tochter?«
Grace nickte. »Ein Mädchen ungefähr im selben Alter wie meine Schwester. Bestimmt haben sie sie an ihrer Stelle auftreten lassen.«
»Du kennst das Mädchen?«
»Ja. Sie war äußerst liebenswürdig zu mir. Oh!« Grace schlug sich die Hand vor den Mund. »Deshalb also hat sie mir so viele Fragen über meine Mutter und deren Umstände gestellt. Und Lily hat mir erzählt, dass sie sich ihr gegenüber genauso freundlich und interessiert gab.«
»Oh, diese durchtriebenen Unwins!«, sagte James. »Sie hat versucht, euch über eure Vergangenheit auszuhorchen.Alles über eure Familie zu erfahren, was sie konnte.«
»Aber sie schien so außerordentlich nett zu sein … «
James lächelte bitter. »Wenn es um Geld geht, kann Freundlichkeit auch auf Bestellung eingesetzt werden.«
»Denkst du, dass … « Grace zögerte, holte tief Luft und begann erneut. »Denkst du, dass es meiner Schwester gut geht? Sie haben sie doch nicht … sie haben ihr doch wohl nichts angetan, oder?«
James schüttelte den Kopf. »Das glaube ich wirklich nicht. Sie gehen vielleicht so weit, jemanden zu entführen und wegzusperren, aber selbst die Unwins würden sich nicht auf einen Mo … « Er unterbrach sich mit einem Husten. »Auf etwas noch Schlimmeres einlassen.«
Ein wildes Hupkonzert brach plötzlich in dem um sie herumflutenden Verkehr los, und Grace und James schwiegen eine Weile.
Als der Lärm abgeebbt war und sie sich wieder verständigen konnten, sagte Grace: »Was kann man denn tun? Es muss doch irgendeine Möglichkeit
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