Gehen (German Edition)
Oehler, in unmittelbarer Nähe suchen beweist nichts als Inkompetenz. Man müsse in jedem Falle immer um alles zurückgehen, sagt Oehler, und sei es in die tiefste und also schon kaum mehr feststellbare und wahrnehmbare Vergangenheit. Natürlich ist es das Unsinnigste, sagt Oehler, sich zu fragen, warum mit Karrer in den rustenschacherschen Laden hinein, geschweige denn, sich einen Vorwurf machen. Er müsse auch in diesem Fall wieder sagen, daß alles, gleichzeitig nichts auf eine plötzliche Verrücktheit Karrers hindeutete. Wenn wir uns die einfachstenFragen nicht stellen dürfen, dann dürfen wir uns eine Frage wie die Frage, warum Karrer überhaupt in den rustenschacherschen Laden hineingegangen ist, wozu nicht die geringste Veranlassung bestanden hat, wenn man davon absieht, daß möglicherweise wirklich die plötzliche Ermüdung Karrers nach unserem Gehen in die Alserbachstraße und wieder zurück ein Grund gewesen ist, nicht stellen, auch die Frage nicht, warum ich Karrer in den rustenschacherschen Laden hinein gefolgt bin. Wir dürfen aber auch nicht, weil wir nicht fragen, sagen, alles sei eine Selbstverständlichkeit, alles sei selbstverständlich. Aufeinmal wäre unmöglich, was bis zu diesem Punkt immer noch möglich ist, sagt Oehler. Andererseits ist, was ist, selbstverständlich. Was er, während wir gehen, beobachte, durchschaue er und beobachte es aus diesem Grund gar nicht, denn etwas das man (vollkommen) durchschauen kann, kann man nicht beobachten. Diese Beobachtung, sagt Oehler, hat auch Karrer gemacht. Wenn wir eine Sache durchschauen, sehen wir die Sache nicht, müssen wir sagen, andererseits sieht niemand anderer die Sache, denn wer eine Sache nicht durchschaut, sieht die Sache auch nicht. Der gleichen Ansicht war Karrer. Absolut tödlich kann (muß) die Frage sein: Warum stehe ich in der Frühe auf?, wenn sie so gestellt ist, daß sie wirklich gestellt ist, und wenn sie zuende geführt wird oder zuende geführt werden muß. Wie die Frage: Warum lege ich mich am Abend nieder?, wie die Frage: Warum esse ich? Warum ziehe ich mich an? Warum verbindet mich mit den einen Menschen alles (oder sehr vieles, oder sehr weniges), mit den andern gar nichts? Wenn sie zuende geführt wird, was bedeutet, daß sich auch der, der eine Frage stellt, die er zuende führt, weil er sie zuende führt oder weil er sie zuende führen muß, auch zuende führt, ist die Frage beantwortet, endgültig beantwortet, existiert der, der die Frage gestellt hat, nicht mehr. Wenn wir sagen, dieser Mensch sei in dem Augenblick, in welchem er sich die gestellte Frage beantwortet hat, tot, machen wir es uns aberzu einfach, sagt Oehler. Wir finden aber andererseits keine bessere Bezeichnung als die, daß wir sagen, dann ist der, der die Frage gestellt hat, tot. Indem wir nicht alles bezeichnen und dadurch niemals absolut denken können, existieren wir und gibt es außer uns Existenz, sagt Oehler. Aber fragen Sie nicht, was die Existenz außer uns ist, sagt Oehler. Sind wir so weit gekommen, wie wir jetzt (in Gedanken) gekommen sind, sagt Oehler, müssen wir die Konsequenzen daraus ziehen und diese (oder den) Gedanken, der oder die es ermöglicht hat (oder haben), daß wir so weit gekommen sind, abbrechen. Karrer praktizierte diese Fähigkeit mit einer Virtuosität, die ohne weiteres als Gehirnkunstfertigkeit, so Karrer, zu bezeichnen ist, sagt Oehler. Wenn wir uns vorstellen, ich und nicht Karrer wäre jetzt in Steinhof, sagt Oehler, und Sie redeten mit Karrer hier über mich. Dieser Gedanke ist unsinnig, sagt Oehler. Der Selbstmord des Chemikers Hollensteiner habe sich in katastrophaler Weise auf Karrer ausgewirkt, sagt Oehler, habe sich auf Karrer so auswirken müssen, wie er sich auf Karrer ausgewirkt hat, in der verheerendsten Weise, den ungeschütztesten Geisteszustand Karrers auf das Tödlichste chaotisierend. Hollensteiner, der ein Jugendfreund Karrers gewesen war, hatte sich, wie erinnerlich, in dem Augenblick umgebracht, in welchem ihm von seiten des sogenannten Unterrichtsministeriums die für sein Chemisches Institut lebensnotwendigen Mittel entzogen worden sind. Den außerordentlichsten Köpfen entzieht der Staat die lebensnotwendigen Mittel, sagt Oehler, und dadurch kommt es, daß sich gerade die außerordentlichen und die außerordentlichsten Köpfe, und Hollensteiner ist einer der außerordentlichsten Köpfe gewesen, umbringen. Er finge gar nicht damit an, die Reihe der außerordentlichen und der außerordentlichsten
Weitere Kostenlose Bücher