Gehen (German Edition)
Oehler zu mir, während ich zu Oehler sage, auf Ihren Kopf paßt nur ein schmalkrempiger, nicht aber ein so breitkrempiger Hut, wie Sie ihn aufhaben. Während Oehler Fäustlinge anhat, immer die gleichen Fäustlinge, dicke, derbe Wollfäustlinge, die ihm seine Schwester gestrickt hat, habe ich Handschuhe an, dünne, allerdings gefütterte Schweinslederhandschuhe, die mir meine Frau gekauft hat. Nur in Fäustlingen ist einem wirklich warm, sagt Oehler immer wieder, nur in Handschuhen und auch nur in solchen geschmeidigen Lederhandschuhen, sage ich, sind die Hände so beweglich wie meine Hände. Oehler trägt schwarze stulpenlose Hosen, während ich graue Hosen mit Stulpe trage. Wir gehen aber nicht mehr von unserer Kleidung ab und so ist es unsinnig, zu sagen, Oehler solle einen schmalkrempigen Hut, eine Hose mit Stulpe, nicht so enge Röcke, wie er sie anhat, tragen etcetera, ich solle Fäustlinge, schwere, hohe Schuhe anziehen, etcetera, weil wir von der Kleidung, die wir anhaben, wenn wir weggehen, und die wir schon jahrelang anhaben, jahrzehntelang anhaben, wenn wir weggehen, gleich, wo wir hingehen, nicht mehr abgehen, weil uns diese Kleidung in Jahrzehnten zur endgültigen Gewohnheit und also zur endgültigen Kleidung geworden ist. Hören wir etwas, sagt Oehler Mittwoch, prüfen wir, was wir hören und prüfen, was wir hören, so lange, bis wir sagen müssen, das Gehörte ist unwahr, es ist eine Lüge, das Gehörte. Sehen wir etwas, prüfen wir das, was wir sehen, so lange, bis wir sagen müssen, das, was wirsehen, ist entsetzlich. So kommen wir das ganze Leben nicht mehr aus Entsetzlichkeit und Unwahrheit und aus Lüge heraus, sagt Oehler. Tun wir etwas, so denken wir über das, was wir tun, so lange nach, bis wir sagen müssen, es ist etwas Gemeines, es ist etwas Niedriges, es ist etwas Unverschämtes, es ist etwas ungeheuerlich Trostloses, was wir tun, und daß naturgemäß falsch ist, was wir tun, ist selbstverständlich. So wird uns jeder Tag zur Hölle, ob wir wollen oder nicht, und was wir denken, wird, wenn wir es überdenken, wenn wir dazu die erforderliche Geisteskälte und Geistesschärfe haben, in jedem Falle immer zu etwas Gemeinem und Niedrigem und Überflüssigem, was uns lebenslang auf die erschütterndste Weise deprimiert. Denn alles, was gedacht wird, ist überflüssig. Die Natur braucht das Denken nicht, sagt Oehler, nur der menschliche Hochmut denkt sein Denken ununterbrochen in die Natur hinein. Was uns durch und durch deprimieren muß, ist die Tatsache, daß wir durch dieses unverschämte Denken in die gegen dieses Denken naturgemäß völlig immunisierte Natur hinein nur immer noch in eine größere Deprimation hineinkommen, als die, in der wir schon sind. Die Zustände werden durch unser Denken naturgemäß, sagt Oehler, zu immer noch unerträglicheren Zuständen. Denken wir, wir machen die unerträglichen Zustände zu erträglichen Zuständen, so müssen wir bald einsehen, daß wir die unerträglichen Zustände nicht zu erträglichen und auch nicht zu erträglicheren Zuständen gemacht haben (machen haben können), sondern nur noch zu noch unerträglicheren Zuständen. Und mit den Umständen ist es wie mit den Zuständen, sagt Oehler, und mit den Tatsachen ist es dasselbe. Der ganze Lebensprozeß ist ein Verschlimmerungsprozeß, in welchem sich fortwährend, dies Gesetz ist das grausamste, alles verschlimmert. Sehen wir einen Menschen, müssen wir uns in kurzer Zeit sagen, was für ein entsetzlicher, was für ein unerträglicher Mensch. Sehen wir die Natur, müssen wir sagen, was für eine entsetzliche, unerträgliche Natur.Sehen wir etwas Künstliches, gleich welches Künstliche, müssen wir in kurzer Zeit sagen, was für eine unerträgliche Künstlichkeit. Gehen wir, sagen wir ja auch in der kürzesten Zeit, was für ein unerträgliches Gehen, wie, wenn wir laufen, was für ein unerträgliches Laufen, wie, wenn wir stehen, was für ein unerträgliches Stehen, wie, wenn wir denken, was für ein unerträgliches Denken. Machen wir eine Begegnung, denken wir in der kürzesten Zeit, was für eine unerträgliche Begegnung. Machen wir eine Reise, sagen wir uns in der kürzesten Zeit, was für eine unerträgliche Reise, was für ein unerträgliches Wetter, sagen wir, sagt Oehler, über gleich was für ein Wetter, wenn wir über, gleich was für ein Wetter, nachdenken. Ist der Verstand ein scharfer, ist das Denken das rücksichtsloseste und das klarste, sagt Oehler, müssen wir in der
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