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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Köpfe aufzuzählen, alles junge, geniale Köpfe, sagt Oehler, die sich, weil ihnen der Staat, in was für einer Form immer, die lebensnotwendigen Mittel entzogen hat, umbringen. Und daß es sich bei Hollensteinerum ein Genie gehandelt hat, ist für mich ohne Zweifel. Gerade in dem Augenblick, der der lebensnotwendigste für Hollensteiners Institut und also für Hollensteiner gewesen ist, hat der Staat ihm (und also seinem Institut), die Mittel entzogen. Hollensteiner, dessen Name in der heute so wichtigen Fachwelt der Chemie einen großen Namen gehabt hat schon zu einer Zeit, in welcher hier in seinem eigenen Land noch kein Mensch seinen Namen gekannt hat, auch heute kennt kein Mensch den Namen Hollensteiner, wenn Sie fragen, sagt Oehler, wir nennen einen ganz und gar außerordentlichen Menschennamen, sagt Oehler, und machen die Erfahrung, daß niemand und vor allem nicht einmal die, die diesen Namen kennen müßten, diesen Namen kennen, diese Erfahrung machen wir immer, die Leute, die den Namen ihres außerordentlichsten Wissenschaftlers kennen müßten, kennen diesen Namen nicht oder sie wollen diesen Namen nicht kennen, in diesem Falle kennen die Chemiker nicht einmal Hollensteiners Namen oder wollen den Namen Hollensteiner nicht kennen und so ist Hollensteiner in den Selbstmord getrieben worden, wie in diesem Land alle außerordentlichen Köpfe. Während in Deutschland der Name Hollensteiner unter den Chemikern der geachtetste gewesen ist und auch heute noch ist, ist Hollensteiner hier in Österreich vollkommen totgeschwiegen gewesen, das Außerordentliche ist in diesem Land, sagt Oehler, immer und zwar zu allen Zeiten totgeschwiegen worden, so lange totgeschwiegen, bis es sich umgebracht hat. Ist ein österreichischer Kopf außerordentlich, sagt Oehler, brauchen wir nicht darauf warten, daß er sich umbringt, es ist nur eine Frage der Zeit und der Staat rechnet damit. Hollensteiner hatte so viele Angebote, sagt Oehler, die er aber alle nicht angenommen hat. In Basel hätten sie Hollensteiner mit offenen Armen aufgenommen, in Warschau, in Kopenhagen, in Oxford, in Amerika. Aber selbst nach Göttingen, wo man Hollensteiner alle Mittel zur Verfügung gestellt hätte, die er haben wollte, ist Hollensteiner nicht gegangen, weiler nicht nach Göttingen gehen hat können, ein Mensch wie Hollensteiner, sagt Oehler, ist unfähig, nach Göttingen zu gehen, überhaupt nach Deutschland zu gehen, bevor ein solcher Mensch nach Deutschland geht, bringt er sich um. Und gerade in dem Augenblick bringt er sich und das heißt, bringt der Staat ihn um, in welchem er auf das Erschütterndste auf die Hilfe des Staates angewiesen ist. Das Genie wird im Stich gelassen und zum Selbstmord getrieben. Ein Wissenschaftler, sagt Oehler, ist in Österreich ein armer Hund, der früher oder später, aber vor allem dann, wenn es am Unsinnigsten erscheint, verenden muß an der Stumpfsinnigkeit der Umwelt und das heißt, an der Stumpfsinnigkeit des Staates. Wir haben einen außerordentlichen Wissenschaftler und ignorieren ihn, keiner wird mit größerer Gemeinheit bekämpft, als der Außerordentliche und das Genie geht vor die Hunde, weil es in diesem Staat vor die Hunde gehen muß. Wenn eine Kapazität wie Hollensteiner die Kraft und in so hohem Maße die Anlage zur Selbstverleugnung hätte, um ohne weiteres Österreich und das heißt Wien aufzugeben und nach Marburg oder nach Göttingen zu gehen, um nur zwei Hollensteiner betreffende Beispiele zu geben und dort, in Marburg oder in Göttingen die wissenschaftliche Arbeit, die in Österreich und in Wien fortzusetzen unmöglich geworden ist, fortzusetzen, sagt Oehler, aber ein Mann wie Hollensteiner war nicht in der Lage, nach Marburg oder nach Göttingen zu gehen, überhaupt ist Hollensteiner ein Mensch gewesen, der nicht nach Deutschland gehen hat können. Aber auch nach Amerika gehen, ist für Hollensteiner unmöglich gewesen, wie wir sehen, denn dann wäre ja Hollensteiner, der nicht nach Deutschland gehen hat können, weil ihm dieses Land unheimlich und in höchstem Grade zuwider gewesen war, ja nach Amerika gegangen. Die wenigsten haben die Kraft, den Widerwillen gegen das Land, das sie im Grunde genommen mit offenen Armen und mit einer Gutmütigkeit ohnegleichen aufzunehmen bereit ist, aufzugeben und in dieses Land zu gehen.Lieber bringen sie sich im eigenen Land um, weil letztenendes die Liebe zu dem eigenen Land oder sagen wir besser, zu der eigenen, zu der österreichischen Landschaft

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