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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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größer ist, als die Kräfte, die eigene Wissenschaft in einem andern Land auszuhalten. Was Hollensteiner betrifft, sagt Oehler, haben wir ein Beispiel, wie der Staat mit einem ungewöhnlich klaren und wichtigen Kopf umgeht. Jahrelang hat Hollensteiner um die Mittel, die er für seine Forschung gebraucht hat, gebettelt, sagt Oehler, jahrelang hat sich Hollensteiner vor einer Bürokratie erniedrigt, die die abstoßendste der Welt ist, um zu seinen Mitteln zu kommen, jahrelang hat Hollensteiner versucht, was vor ihm schon Hunderte Außergewöhnliche und Geniale versucht haben: Ein bedeutendes und nicht nur für Österreich, ein zweifellos für die ganze Menschheit bedeutendes Vorhaben wissenschaftlicher Natur mit Hilfe des Staates zu verwirklichen. Aber er hat einsehen müssen, daß man in Österreich nichts mit Hilfe des Staates verwirklichen kann, wenigstens nichts Außerordentliches, nichts Bedeutendes, nichts Epochemachendes. Der Staat, an den sich eine Natur wie Hollensteiner in höchster Verzweiflung wendet, hat für eine solche Natur wie Hollensteiner nichts übrig. Dann muß eine solche Natur wie Hollensteiner, erkennen, daß sie in einem Staat existiert, der, müssen wir ohne Zögern und mit der größten Rücksichtslosigkeit gegen diesen Staat sagen, das Außerordentliche haßt und der nichts tiefer haßt, als das Außerordentliche. Denn daß in diesem Staat nur das Stumpfsinnige und die Mittellosigkeit und der Dilettantismus geschützt sind und immer wieder gefördert werden und daß in diesem Staat nur in das Stümperhafte und in das Überflüssige alle Mittel gestopft werden, ist klar. Das sehen wir tagtäglich in Hunderten von Beispielen. Und dieser Staat will ein sogenannter Kulturstaat sein und verlangt, daß er bei jeder Gelegenheit als solcher bezeichnet wird. Machen wir uns nichts vor, sagt Oehler, mit einem Kulturstaat hat dieser Staat nichts zu tun und werden wir nichtmüde, das immerfort und ununterbrochen und bei jeder Gelegenheit zu sagen, und erwachsen uns aus dieser pausenlosen Feststellung als Wiederholung des immer Gleichen, daß dieser Staat ein grenzenlos verstandes- und gefühlloser ist, auch die größten Schwierigkeiten. Hollensteiners Unglück ist gewesen, an dieses Land, nicht an diesen Staat, verstehen Sie, an dieses Land gefesselt zu sein mit allen seinen Sinnen. Und was das heißt, sagt Oehler, ein Land wie das unsrige mit allen Sinnen zu lieben gegen einen Staat, der alles unternimmt, um einen zu zerstören, anstatt einem zu Hilfe zu kommen, einen zu lähmen, anstatt einem zu Hilfe zu kommen, wissen wir. Hollensteiners Selbstmord ist ein Selbstmord unter vielen, alle Jahre müssen wir das feststellen, daß sich viele, die wir schätzen und die Talent und Genie gehabt haben und die außerordentlich und außergewöhnlich gewesen sind, umgebracht haben, denn wir gehen immer nur auf die Friedhöfe zu Begräbnissen von Leuten, sagt Oehler, die sich aus Verzweiflung gegen den Staat umgebracht haben, wenn wir nachdenken, die sich aus dem Fenster gestürzt oder aufgehängt oder erschossen haben, weil sie sich von diesem unserem Staat im Stich gelassen gefühlt haben und auch tatsächlich von diesem Staat im Stich gelassen worden sind. Wir gehen nur auf die Friedhöfe, sagt Oehler, um ein vom Staat zugrundegerichtetes und in den Tod getriebenes Genie einzugraben, das ist die Wahrheit. Wenn wir die Schönheit dieses Landes mit der Gemeinheit dieses Staates verrechnen, sagt Oehler, kommen wir auf den Selbstmord. Was Hollensteiner betrifft, ist es klar gewesen, daß sein Selbstmord Karrer verstören hat müssen, schließlich waren die beiden in einem unglaublichen Freundschaftsverhältnis zueinander gestanden. Nur glaubte ich immer, Hollensteiner hätte die Kraft dazu, nach Deutschland zu gehen, nach Göttingen, wo er alles zu seiner Verfügung gehabt hätte, sagt Oehler, daß er diese Kraft nicht gehabt hat, hat ihn umgebracht. Es hätte auch nichts genützt, Hollensteiner mit noch größerer Intensitätzuzureden, unter allen Umständen nach Göttingen zu gehen, so Karrer, sagt Oehler. Eine nicht ganz so empfindliche Natur wie Hollensteiner hätte natürlich die Kraft gehabt, nach Göttingen zu gehen, gleich, wohin zu gehen, einfach dahin zu gehen, wo ihr alle Mittel zur Verfügung gestellt werden für ihre wissenschaftlichen Zwecke, sagt Oehler. Aber einer Natur wie Hollensteiner ist es natürlich vollkommen unmöglich, sich in einer Umgebung niederzulassen, noch dazu zu wissenschaftlichen

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