Gehetzte Uhrmacher
Rücken.
Sachs dachte an ihren Vater.
Sie dachte an Lincoln Rhyme.
Du und ich, Sachs...
Dann beschloss sie, auf keinen Fall abzutreten, ohne dem Kerl ein Andenken zu verpassen. Sie nahm die Pistole zwischen die Zähne und wollte sich mit beiden Händen herumzerren, um nach einem Ziel Ausschau zu halten.
Auf der Leiter stieg jemand nach oben.
Natürlich, das war es, worauf der Uhrmacher wartete – die Gelegenheit, weitere Beamte zu töten. Er benutzte Sachs als Köder, um ihre Kollegen in den Tod zu locken und in dem Durcheinander zu fliehen.
»Vorsicht!«, rief sie und hob die Pistole. »Er...«
»Wo ist er?«, fragte der Teamführer. Er hockte geduckt neben der Leiter. Offenbar hatte er Sachs nicht gehört – oder ignoriert – und war ihr zu Hilfe geeilt. Zwei weitere Beamte waren ihm gefolgt. Sie suchten den Raum ab – auch den Bereich hinter Sachs.
Ihr Herz klopfte wie wild. Sie versuchte, einen Blick über die Schulter zu werfen. »Sie können ihn nicht sehen?«, fragte sie. »Aber er muss da sein.«
»Nein.«
Er und ein Kollege bückten sich, packten Amelia an der Weste und zogen sie aus dem Loch. Geduckt wirbelte sie herum.
Der Dachboden war leer.
»Wie ist er abgehauen?«, murmelte der Teamführer. »Hier gibt es weder Türen noch Fenster.«
Sachs bemerkte etwas auf der anderen Seite des Raumes und lachte missmutig auf. »Er war gar nicht hier. Nicht hier oben und nicht unten. Wahrscheinlich ist er schon seit Stunden weg.«
»Aber die Lampen. Jemand hat sie doch ein- und ausgeschaltet.«
»Nein. Sehen Sie mal da.« Sie deutete auf ein kleines beigefarbenes Gerät, das mit dem Sicherungskasten verbunden war. »Wir sollten glauben, er sei noch hier. Damit sein Vorsprung größer wird.«
»Was ist das?«
»Na, was wohl? Eine Zeitschaltuhr.«
... Einundvierzig
Sachs untersuchte das Haus in Brooklyn auf Spuren und schickte die spärlichen Resultate zu Rhyme.
Sie streifte den Tyvek-Overall ab, zog ihre Jacke an und eilte dann durch die eisige Kälte zu Sellittos Wagen. Pam Willoughby saß auf der Rückbank, hielt ihr Harry-Potter-Buch fest und trank einen heißen Kakao, den der massige Detective ihr besorgt hatte. Sellitto war immer noch im Haus und erledigte den Papierkram. Sachs öffnete die Tür und setzte sich neben das Mädchen. Kathryn Dance hatte vorgeschlagen, dass sie Pam mitnehmen und ihr das Haus und die Besitztümer des Uhrmachers zeigen sollten, damit sie sich vielleicht an irgendetwas erinnerte. Der Mann hatte jedoch so gut wie nichts zurückgelassen, und Pammy konnte ihnen nicht weiterhelfen.
Lächelnd musterte Sachs das Kind und erinnerte sich an die seltsam hoffnungsvolle Miene, die ihr aufgefallen war, als sie Pam in dem Mietwagen am zweiten Tatort gesehen hatte. »Ich habe in all den Jahren oft an dich gedacht«, sagte Amelia.
»Ich an Sie auch«, sagte das Mädchen und blickte in ihre Tasse.
»Wohin seid ihr damals gegangen?«
»Zurück nach Missouri. Wir haben uns im Wald versteckt. Mom hat mich oft bei fremden Leuten gelassen. Meistens habe ich einfach nur gelesen. Ich bin mit den anderen nicht besonders gut ausgekommen. Sie waren gemein zu mir. Wenn man nicht so denkt wie sie – und die denken ziemlichen Blödsinn -, machen sie einen fertig.
Viele von denen haben ihre Kinder zu Hause unterrichtet. Aber ich wollte unbedingt auf eine normale Schule gehen und hab deswegen Ärger gemacht. Bud wollte mich nicht lassen, doch Mom war schließlich einverstanden. Sie hat gesagt, falls ich jemandem erzähle, wer sie ist und was sie gemacht hat, würde auch ich ins Gefängnis kommen, als ihre Kumpanin... nein, Komplizin. Und
die Männer würden Sachen mit mir machen. Sie wissen schon, was ich meine.«
»Ach, Schatz.« Sachs drückte ihre Hand. Amelia wünschte sich sehnlich eigene Kinder und wusste, dass es eines Tages auf jeden Fall so weit sein würde, so oder so. Sie war entsetzt, dass eine Mutter ihrem Kind so etwas zugemutet hatte.
»Und manchmal, wenn es ganz schlimm wurde, hab ich an Sie gedacht und mir vorgestellt, Sie seien meine Mutter. Ich wusste Ihren Namen nicht. Vielleicht hatte ich ihn damals gehört, aber ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Also habe ich Ihnen einen anderen Namen gegeben: Artemis. Aus dem Buch mit den Heldensagen, das ich gelesen habe. Sie war die Göttin der Jagd. Weil Sie doch diesen Hund getötet haben, der mich angegriffen hat.« Sie senkte den Kopf. »Das ist ein doofer Name.«
»Nein, nein, er ist wunderschön. Er gefällt
Weitere Kostenlose Bücher