Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
Vom Netzwerk:
ihn durchaus, aber er war in der Lage, diesen Aspekt seiner Arbeit abzutrennen und beiseitezuschieben. Manch einer hielt ihn deswegen für kalt und gefühllos, und bis zu einem gewissen Grad traf das wohl auch zu. Aber wer auf einem bestimmten Gebiet zu den Besten gehört, vereinigt in sich zwangsläufig mehrere scheinbar widersprüchliche Züge. Bei Rhyme trafen ein scharfer Verstand sowie eine ausgeprägte Beharrlichkeit und Ungeduld mit einer emotionalen Distanziertheit zusammen, die für einen fähigen Kriminalisten unbedingt notwendig ist.
    Nun musterte er neugierig die verschiedenen Kisten, als Ron Pulaski eintraf. Rhyme hatte den jungen Mann kurz nach dessen Dienstantritt bei der Polizei kennen gelernt. Obwohl das inzwischen ein Jahr zurücklag – und Pulaski ein Familienvater mit zwei Kindern war -, blieb er für Rhyme insgeheim der »Neuling«. Manche Spitznamen halten sich hartnäckig.
    »Ich weiß, dass Amelia jemanden verhaftet hat, aber falls er nicht der Täter ist, möchte ich keine Zeit verlieren«, verkündete Rhyme und wandte sich an Pulaski. »Geben Sie mir einen Überblick. Zunächst vom ersten Tatort, dem Pier.«
    »Also«, fing der Neuling zögernd an. »Der Pier liegt ungefähr auf Höhe der Zweiundzwanzigsten Straße am Hudson River. Er ragt fünfeinhalb Meter über der Wasseroberfläche knapp sechzehn Meter in den Fluss hinein. Der Mord...«
    »Demnach hat man die Leiche gefunden?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Dann haben Sie den vermutlichen Mord gemeint.«
    »Richtig. Ja, Sir. Der vermutliche Mord hat sich am äußersten Ende des Piers zugetragen, dem westlichen Ende, und zwar irgendwann zwischen achtzehn Uhr gestern Abend und sechs Uhr heute Morgen. Das Bergungsunternehmen war zu dieser Zeit geschlossen.«
    Es gab kaum Spuren: lediglich den Fingernagel, wahrscheinlich von einer männlichen Person, und das Blut, das von Mel Cooper getestet und als menschliches Blut der Gruppe AB positiv identifiziert wurde, was bedeutete, dass im Plasma des Opfers sowohl
A- als auch B-Antigene – Proteine – vorhanden waren, aber keine der jeweiligen Antikörper. Darüber hinaus war die Probe Rhesuspositiv. Eine Kombination aus Blutgruppe AB und positivem Rhesusfaktor ist relativ selten und tritt nur bei etwa dreieinhalb Prozent der Bevölkerung auf. Weitere Tests bestätigten, dass es sich tatsächlich um ein männliches Opfer handelte.
    Ferner stellte sich heraus, dass der Mann mutmaßlich nicht mehr der Jüngste war und unter Herzproblemen litt, denn er nahm ein Antikoagulans, ein gerinnungshemmendes Mittel. Hinweise auf andere Medikamente, Infektionen oder Krankheiten fanden sich nicht.
    Es gab am Tatort weder Fingerabdrücke noch Fußspuren, es waren keinerlei Partikel zurückgeblieben, und die Reifenprofile am Boden stammten sämtlich von den Fahrzeugen der Angestellten.
    Sachs hatte ein Stück des Maschendrahtzauns sichergestellt. Coopers Untersuchung der Schnittkanten ergab, dass der Täter den Zaun offenbar mit einer gewöhnlichen Drahtschere durchtrennt hatte. Die Spuren am Metall ließen sich einem bestimmten Werkzeug zuordnen, falls es jemals auftauchte, aber sie erlaubten keine Rückschlüsse auf dessen Herkunft.
    Rhyme nahm die Tatortfotos in Augenschein und interessierte sich vor allem für das Muster der Blutspuren auf dem Pier. Er vermutete, dass das Opfer auf Brusthöhe über der Kante gehangen und die Finger verzweifelt in die Spalten zwischen den Planken geklemmt hatte. Die Kratzer verrieten, dass die Kräfte des Mannes nach und nach geschwunden waren. Rhyme fragte sich, wie lange es wohl gedauert haben mochte.
    Er nickte langsam. »Schildern Sie mir den nächsten Tatort.« »In Ordnung«, erwiderte Pulaski. »Der Mord wurde in einer Sackgasse verübt, die unweit des Broadway von der Cedar Street abzweigt. Die Gasse ist viereinhalb Meter breit, nicht ganz zweiunddreißig Meter lang und hat ein Kopfsteinpflaster.«
    Rhyme erinnerte sich, dass die Leiche viereinhalb Meter von der Einmündung entfernt gelegen hatte.
    »Was wissen wir über den Todeszeitpunkt?«
    »Der Gerichtsmediziner hat gesagt, der Mann sei mindestens acht Stunden vor seinem Auffinden gestorben. Der Leichnam war gefroren, also dürfte es eine Weile dauern, bis der Zeitpunkt mit
hinreichender Gewissheit ermittelt werden kann.« Der junge Beamte neigte bisweilen dazu, sich ein wenig umständlich auszudrücken.
    »Amelia hat erwähnt, dass es in der Gasse mehrere Hintertüren und Notausgänge gibt. Hat jemand sich

Weitere Kostenlose Bücher