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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Deaver
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bezeichne man das Studium der Zeit und der Zeitmessung, hatte Duncan ihm erklärt.
    Der Killer war in letzter Zeit mehrmals hier gewesen. Dieser Ort übte auf den älteren Mann die gleiche Anziehungskraft aus wie Sexshops auf Vincent, und beim Anblick der Schaukästen blühte der sonst so zurückhaltende und emotionslose Duncan regelrecht auf. Vincent war froh, seinen Freund dermaßen vergnügt zu sehen.
    Duncan stand vor ein paar alten Töpferwaren, die Weihrauchuhren hießen. Vincent stellte sich neben ihn.
    »Was hast du herausgefunden?«, fragte Duncan, ohne den Kopf zu wenden. Er hatte Vincents Spiegelbild im Glas des Schaukastens bemerkt. Das war mal wieder typisch für ihn – stets aufmerksam, stets auf das Wesentliche konzentriert.
    »Soweit ich sehen konnte, ist sie die ganze Zeit in ihrer Werkstatt
allein gewesen. Niemand kam hinzu. Dann ist sie zu ihrem Laden am Broadway zurückgekehrt und hat sich dort mit diesem Lieferwagenfahrer getroffen. Die beiden sind zusammen weggegangen. Ich habe angerufen und nach ihr gefragt...«
    »Von wo aus?«
    »Natürlich von einem Münzfernsprecher.«
    Gewissenhaft.
    »Der Verkäufer hat gesagt, sie mache irgendwo Kaffeepause. Sie würde in einer Stunde zurück sein, aber nicht im Laden. Was wohl heißen dürfte, dass sie wieder in der Werkstatt ist.«
    »Gut.« Duncan nickte.
    »Und was haben Sie herausgefunden?«
    »Der Pier war abgesperrt, aber menschenleer. Auf dem Fluss waren Polizeiboote unterwegs, also hat man die Leiche noch nicht geborgen. In der Cedar Street bin ich nicht besonders nah herangekommen. Aber man nimmt den Fall sehr ernst. Jede Menge Polizisten. Zwei davon schienen leitende Beamte zu sein. Eine war ziemlich hübsch.«
    »Ein Mädchen, echt?« Der hungrige Vincent merkte auf. Der Gedanke an ein Stelldichein mit einer Polizistin war ihm noch nie gekommen. Aber auf einmal gefiel ihm die Idee.
    Sehr sogar.
    »Jung, Mitte dreißig. Rotes Haar. Magst du rotes Haar?«
    Er würde Sally Annes rotes Haar nie vergessen, wie es sich auf der alten, stinkenden Decke ausbreitete, während er auf ihr lag.
    Der Hunger war plötzlich unerträglich. Vincent lief buchstäblich das Wasser im Mund zusammen. Er griff in die Tasche, holte einen Schokoriegel hervor und aß ihn gierig. Er fragte sich, was Duncan mit seinen Anmerkungen über das rote Haar und die hübsche Polizistin andeuten wollte, aber der Killer ging nicht weiter darauf ein. Er schlenderte zu einem anderen Schaukasten, in dem alte Pendeluhren standen.
    »Weißt du, welcher technischen Errungenschaft wir die Einführung einer präzisen Zeitmessung zu verdanken haben?«
    Der Professor in seinem Element, dachte der clevere Mr. V., der den hungrigen Mr. V. einstweilen abgelöst hatte, nachdem dieser mit Schokolade versorgt worden war.
    »Nein.«

    »Der Eisenbahn.«
    »Wie das?«
    »Als die Leute noch ihr ganzes Leben an ein und demselben Ort zugebracht haben, konnten sie den Tagesbeginn halbwegs nach Wunsch festlegen. Sechs Uhr in London mochte sechs Uhr achtzehn in Oxford sein. Es spielte sowieso keine Rolle. Und falls man doch nach Oxford reisen musste, dann auf dem Rücken eines Pferdes, und es war egal, ob die Zeit übereinstimmte. Aber wenn ein Zug den Bahnhof nicht pünktlich verlässt und bereits der nächste Zug angerast kommt, kann das unangenehme Folgen haben.«
    »Das klingt logisch.«
    Duncan wandte sich von der Vitrine ab. Vincent hoffte, dass sie nun aufbrechen, nach Downtown fahren und sich Joanne vornehmen würden, aber sein Freund ging quer durch den Raum zu einem großen Glaskasten, der mit einer Samtkordel abgegrenzt war und neben dem ein kräftiger Wachmann stand.
    Duncan starrte den Gegenstand im Innern an, einen Kasten aus Gold und Silber, je sechzig Zentimeter breit und hoch sowie zwanzig Zentimeter tief. Die Vorderseite war mit einem Dutzend Skalen versehen, auf denen Kreise eingestanzt waren, dazu die Abbilder von Planeten, Sternen und Kometen, zusammen mit Ziffern und ulkigen Buchstaben und Symbolen, wie bei einem Astrologen. Der eigentliche Kasten war ebenfalls mit Bildern verziert und außerdem mit Edelsteinen bedeckt.
    »Was ist das?«, fragte Vincent.
    »Der Delphi-Mechanismus«, erklärte Duncan. »Er stammt aus Griechenland und ist mehr als eintausendfünfhundert Jahre alt. Die Ausstellung wandert um die ganze Welt.«
    »Und was ist seine Funktion?«
    »Er hat viele Funktionen. Siehst du die Skalen dort? Mit ihnen berechnet man den Lauf von Sonne, Mond und Planeten.« Er

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