Gehetzte Uhrmacher
in der Asche gefundenen Dokumentenreste, die Amelia Sachs in Creeleys Haus in Westchester sichergestellt hatte. »Es muss aus einem Geschäftsbericht oder anderen Finanzunterlagen stammen.«
»Das ist mir klar.« Nun schwang ein wenig Herablassung mit, aber wohl unabsichtlich.
»Diese Aufstellung befand sich in Mr. Creeleys Besitz. Haben Sie sie schon mal gesehen?«
»Nein. Man kann es kaum entziffern. Was ist damit passiert?«
»Wir haben es in diesem Zustand vorgefunden.«
Sagen Sie nichts davon, dass man die Unterlagen verbrennen wollte, hatte Sachs ihn angewiesen. Sie meinen, wir sollen unser Blatt dicht vor der Brust halten?, hatte Pulaski erwidert und dann erkannt, dass diese Wortwahl gegenüber einer Frau etwas unangebracht schien. Er war rot geworden. Sein Zwillingsbruder hätte sich nicht beirren lassen. Tony hatte die gleichen Gene wie er, nur nicht das, das schüchtern machte.
»Es geht offenbar um sehr viel Geld.«
Kessler sah noch einmal hin. »Nicht allzu viel, nur ein paar Millionen.«
Nicht allzu viel.
»Noch mal zurück zu Mr. Creeleys Niedergeschlagenheit. Woher haben Sie davon gewusst? Wenn er doch nichts davon erzählt hat.«
»Man konnte es ihm ansehen. Er war oft gereizt. Zerstreut. An ihm hat eindeutig etwas genagt.«
»Hat er je die St. James Tavern erwähnt?«
»Die...?«
»Eine Bar in Manhattan.«
»Nein. Er hat manchmal früher Feierabend gemacht. Um sich mit Freunden auf einen Drink zu treffen, glaube ich. Aber er hat nie irgendwelche Namen genannt.«
»Wurde je gegen ihn ermittelt?«
»Weswegen?«
»Wegen irgendetwas Illegalem.«
»Nein, das hätte ich erfahren.«
»Gab es zwischen Mr. Creeley und seinen Kunden womöglich Probleme?«
»Nein. Wir hatten zu allen ein großartiges Verhältnis. Ihre durchschnittlichen Rückzahlungen lagen zwei- bis dreimal höher als die Sund P fünfhundert. Wer wäre da nicht glücklich?«
Sund P... Das verstand Pulaski nicht. Er schrieb es sich trotzdem auf. Dazu das Wort »glücklich«.
»Könnten Sie mir eine Kundenliste schicken?«
Kessler zögerte. »Ehrlich gesagt, es wäre mir lieber, Sie würden sich nicht mit den Leuten in Verbindung setzen.« Er senkte leicht den Kopf und sah dem Neuling genau in die Augen.
Pulaski hielt dem Blick mühelos stand. »Warum?«, fragte er.
»Es ist unangenehm. Schlecht fürs Geschäft. Wie ich schon sagte.«
»Nun, Sir, wenn Sie mal darüber nachdenken, ist doch wirklich nichts Peinliches daran, dass die Polizei nach dem Tod eines Menschen ein paar Fragen stellt, oder? Genau genommen ist es sogar unsere Pflicht.«
»Sie haben vermutlich Recht.«
»Und all Ihre Kunden wissen ohnehin, was mit Mr. Creeley geschehen ist, nicht wahr?«
»Ja.«
»Also werden sie damit rechnen, dass wir der Sache nachgehen.«
»Manche ja, andere nicht.«
»Wie dem auch sei, Sie haben gewiss bereits etwas unternommen, um die Situation im Griff zu behalten, richtig? Zum Beispiel ein PR-Büro angeheuert oder eventuell selbst mit Ihren Kunden gesprochen, um sie zu beruhigen?«
Kessler zögerte. »Ich lasse eine Liste zusammenstellen und sie Ihnen schicken«, sagte er dann.
Ja!, dachte Pulaski. Ein Drei-Punkte-Wurf! Er zwang sich, nicht zu lächeln.
Amelia Sachs hatte gesagt, er solle sich die große Frage bis zum Schluss aufsparen. »Was wird aus Mr. Creeleys Hälfte der Firma?«
Wodurch zumindest ein kleines bisschen angedeutet wurde, dass Kessler seinen Partner ermordet haben könnte, um das Geschäft zu übernehmen. Aber Kessler war sich dessen entweder nicht bewusst oder er nahm es Pulaski nicht übel. »Ich werde die Familie
ausbezahlen. Unser Teilhabervertrag sieht das so vor. Suzanne – seine Frau – wird von mir den fairen Marktwert seines Anteils erhalten. Das dürfte ein stattliches Sümmchen sein.«
Pulaski machte sich eine entsprechende Notiz. Er wies auf eines der Pipeline-Fotos, das man durch die Glastür erkennen konnte. »Sind all Ihre Kunden Großkonzerne wie dieser?«
»Wir arbeiten hauptsächlich für Einzelpersonen – Mitglieder der Geschäftsführung oder des Vorstands.« Kessler schüttete etwas Zucker in seinen Kaffee und rührte um. »Hatten Sie je mit der Geschäftswelt zu tun, Officer?«
»Ich?« Pulaski grinste. »Nein. Na ja, ich hab früher mal im Sommer bei einem meiner Onkel gejobbt. Aber ihm ist die Luft ausgegangen. Nicht ihm selbst. Seiner Druckerei.«
»Es ist aufregend, ein Geschäft zu gründen und zu etwas Großem zu machen.« Kessler trank einen Schluck, rührte
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