Gehirnfluesterer
Aufmerksamkeit
schenkt. Und je weniger er blinzelte, desto mehr würden sie denken, er fände sie attraktiv. Und umgekehrt natürlich. Sie fänden
ihn attraktiv.
Caine hatte recht. Nehmen Sie eine ganz normale Alltagssituation. Stellen Sie sich vor, ich mache Ihnen einen Vorschlag, dem
Sie nicht zustimmen können. Ich präsentiere Ihnen rauf und runter die Argumente und versuche Sie zu überzeugen. Wie kann ich
meine Chancen verbessern, um Sie schließlich doch auf meine Seite zu ziehen? Eine Möglichkeit besteht darin, dass ich die
Zahl direkter Blickkontakte mit Ihnen erhöhe. Studien haben gezeigt, dass zwei Menschen, die in ein Gespräch vertieft sind,
einander unterschiedlich häufig ansehen. Die Person, die zuhört, sieht den Sprecher etwa 75 Prozent der Zeit an. Der aber nutzt nur vierzig Prozent der Zeit für Blickkontakte mit dem oder der Zuhörenden. Wenn er oder
sie diese Zeit jedoch auf bis zu fünfzig Prozent steigert (alles, was darüber hinausgeht, erzeugtUnbehagen), stellt sich eine Aura wachsender Autorität ein. Wenn Sie also das nächste Mal etwas zu präsentieren haben, starren
Sie nicht nur in Ihre Notizen oder wiederholen wie ein Papagei, was Powerpoint zeigt, sondern suchen Sie Blickkontakt mit
den Zuhörenden, halten Sie deren Blicke ein wenig länger fest, als Sie das sonst tun. Viele Leute finden solche empirischen
Befunde überraschend. Dabei haben die meisten von uns, wenn sie in solchen Situationen in der Empfängerrolle waren, durchaus
geahnt, was vor sich geht.
Macht eine kleine Steigerung der Blickkontakte wirklich einen solchen Unterschied? In den meisten Fällen ist die Antwort:
Ja. Wie Untersuchungen gezeigt haben, beläuft sich der Anteil, mit dem Blickkontakte in einem Gespräch zur Übermittlung von
Botschaften beitragen, 55 Prozent; 38 Prozent bewirkt das nonverbal Gehörte (die Stimmlage etwa) und nur sieben Prozent der formelle, der »verbale« Inhalt. Das
ist nur einer der Gründe, warum Psychopathen – die unbestrittenen Könige der Beeinflussung, denen wir später noch begegnen
werden – sich der Reputation erfreuen, die sie haben. 7 Im Durchschnitt blinzeln Psychopathen während einer Spanne von einer Minute einige Male weniger als wir anderen. Diese physiologische Anomalie gibt ihnen manchmal eine beunruhigende, hypnotisierende Aura und lädt den Beeinflussungsprozess
latent, doch deutlich wahrnehmbar emotional auf.
Es gibt, so sagte G. K. Chesterton einmal, einen Weg vom Auge zum Herzen, der nicht über den Verstand führt.
Es liegt im Blick
Säuglinge haben viel mit Psychopathen gemeinsam. Fragen Sie die Eltern! Ihnen fehlt Empathie, sie sind überaus einnehmend,
besitzen nicht das leiseste Gespür für die Folgen ihrer Aktionen und sie haben nur sich selbst im Sinn. Und noch etwas teilen
Babys mit ihren obercoolen, aalglatten Gegenstücken: die Macht, mit Blicken zu bannen. Das kann jeder erleben, der den Blick
eines kleinen Kindes gefangen hat und nun versucht, länger durchzuhalten. Vergiss es.
Doch Säuglinge fangen unseren Blick nicht zufällig ein. Wie Studien zeigten, ist dieses Verhalten physiologisch fest geschaltet
– bei ihnen und bei uns. Ein Team von der Universität Genf hat 2007 einen Vergleich auf der Basis der computergesteuerten
Messung der Reaktionszeit angestellt zwischen dem unterschiedlichen Grad von Aufmerksamkeit bei Bildern von Erwachsenen- oder
Kindergesichtern. Das Ergebnis war, dass man bei Kinderbildern länger verweilt. Sie haben ein höheres Ablenkungspotential.
Einen anderen Test mit Kleinkindern hat Teresa Farroni von der Universität London gemacht. Sie zeigte Kindern, die zwischen
zwei und fünf Tage alt waren, Fotos von Gesichtern. Bei den einen Fotos waren die Augen nach vorne gerichtet, bei den anderen
abgewendet. Und sie fand etwas Bemerkenswertes heraus: Die Babys sahen länger auf die Fotos, bei denen sie Blickkontakt herstellen
konnten. Eine Folgestudie belegt erhöhte elektrische Aktivität in den Gehirnen von vier Monate alten Babys, wenn sie Fotos
mit Gesichtern anschauen, die aus dem Bild blicken. Und wie es scheint, verlieren wir dieses Verhaltensmuster auch später
nicht. Beobachtungen in Kunstgalerien etwa haben gezeigt, dass unsere Aufmerksamkeit, wenn wir Porträts betrachten, stets
zuerst in die Augenregion der Gesichter gezogen wird. Und warum? Was haben wir davon? Warum die Augen – und nicht der Mund
oder die Nase?
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